Väter und Kinder

Predigt im Besonderen Gottesdienst am 29. Februar 2004 mit Epheser 3,14-19

Im Gottesdienst vorausgegangen waren zwei Geschichten: eine Szene, in der zwei erwachsene Kinder sich über ihren verstorbenen Vater und ihr zwiespältiges Verhältnis zu ihm unterhalten und eine Geschichte, in der der Großvater zum Vaterersatz für einen Jungen wird und ihm deutlich macht, dass er an ihn glaubt und ihm etwas zutraut. Der Großvater hatte eine Farm in Oregon, und der Junge verbrachte dort einige Jahre lang seine Sommerferien.

14 Deshalb knie ich vor Gott nieder und bete zu ihm. Er ist der Vater, 15 der alle Wesen in der himmlischen und in der irdischen Welt beim Namen gerufen hat und am Leben erhält. 16 Ich bitte ihn, dass er euch aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit beschenkt und euch durch seinen Geist innerlich stark macht.
17 Ich bitte ihn, dass Christus durch den Glauben in euch lebt und ihr fest in seiner Liebe wurzelt und auf sie gegründet seid.
18 Ich bitte ihn, dass ihr zusammen mit der ganzen Gemeinschaft der Glaubenden begreifen lernt, wie unermesslich reich euch Gott beschenkt.
19 Ihr sollt erkennen, was alle Erkenntnis übersteigt, nämlich die unermeßliche Liebe, die Christus zu uns hat. Dann wird die göttliche Lebensmacht mit ihrer ganzen Fülle euch immer mehr erfüllen.

Von zwei Vätern oder Vaterfiguren haben wir gehört, einer, an den der Sohn zwiespältige Erinnerungen hat, und ein Großvater, der dem Enkel geholfen hat, Selbstvertrauen zu finden und sich einen Stier zu fangen. Und dazwischen vom Vater im Himmel, der alle ins Leben gerufen hat, und man könnte die Stelle auch so übersetzen: von dem alle Vaterschaft ihren Namen hat. Gott als der eigentliche Vater, und alles was sonst noch Vater heißt, das hat seinen Ursprung und sein Maß von ihm.

Warum eigentlich so betont vom Vater reden? Können Mütter das nicht auch? Ihren Kindern Selbstvertrauen mit auf den Weg geben? Ja, natürlich tun das auch Mütter. Aber trotzdem ist die Dynamik doch irgendwie eine andere. Jedenfalls häufig. Aber letztlich kommt es natürlich darauf an, dass überhaupt jemand diese Aufgabe für ein Kind erfüllt, wenn es groß genug ist, um sich in der Welt umzusehen.

Denn welche Aufgabe ist es, die die verschiedenen Vaterfiguren mehr oder weniger gut erfüllt haben? Wenn ein Kind entdeckt, dass es da draußen eine Welt gibt, die unheimlich interessant ist, aber irgendwie auch nicht ungefährlich; wenn ein Kind so weit ist, dass es auf eigenen Beinen die Welt erkundet, aber doch auch ein wenig ängstlich ist, weil es nicht weiß, ob es das auch schafft: dann braucht es da draußen jemanden, dem es vertrauen kann, und der sich anscheinend da draußen auskennt.

Und da bietet sich dann tatsächlich der Vater an, der ursprünglich nicht ganz so nah und eng mit dem Kind verbunden war wie die Mutter. Besonders wichtig ist das für kleine Jungen, die irgendwann merken, dass sie, wenn sie einmal groß sind, nicht so werden wie ihre Mutter, sondern – anders. Und deshalb brauchen ganz besonders sie jemanden, der nicht so eng dran ist an ihnen und trotzdem signalisiert: ich habe das geschafft, und du wirst das auch schaffen.

Man kann es auch grundsätzlicher sagen: wir brauchen immer auch einen Fremden, der Ja zu uns sagt. Wir können uns das nicht selbst sagen, es reicht auch nicht, wenn wir es nur von jemand hören, der uns ganz nahe ist, sondern wir müssen dieses Ja auch von jemand hören, der viel weiter von uns weg ist. Darin spiegelt sich natürlich, dass wir von Gott geschaffen sind und dass wir letztlich ein Ja von ihm hören müssen. Aber es gibt eben Vertreter, die uns jedenfalls ein bisschen von dem großen Ja sagen, das wir natürlich in voller Tragweite nur von Gott hören können und müssen.

Deswegen hat man es schwerer, wenn man aus irgendeinem Grund ohne diese Vaterperson aufwachsen muss. Entweder weil es sie nicht gibt, oder weil das Verhältnis zu ihr so belastet ist, dass dieses Ja nicht wirklich rüberkommt. Natürlich kann einer auch dann seinen Vater im Himmel finden und kennen, bzw. vom Vater im Himmel gefunden und gekannt werden. Aber es ist natürlich leichter, wenn es Menschen gibt, die das schon etwas vorbereitet haben.

In der ersten Szene vorhin scheint es so gewesen zu sein, dass das bei dem Johannes in unterschiedlichen Lebensaltern unterschiedlich gut geklappt hat. Ursprünglich scheint es da mal ein ganz enges und gutes Verhältnis gegeben zu haben. Und wenn man an den Flugschein denkt, dann scheint das ja noch so einigermaßen gehalten zu haben, als Johannes 16 war; mit 16 kann man den ersten Flugschein machen.

Aber dann kommt die Zeit, wo Kinder einem langsam auf Augenhöhe entgegentreten, manchmal sind sie einem dann ja auch schon über den Kopf gewachsen, und spätestens da scheint es dann nicht mehr so gut gegangen zu sein zwischen Johannes und seinem Vater. Vielleicht sind ja Väter in bestimmten Lebensaltern ihrer Kinder besser als in anderen. Jedenfalls konnte dieser Vater dem erwachsenen oder jedenfalls beinahe erwachsenen Johannes sein Ja und seine Liebe anscheinend nicht mehr so gut vermitteln.

Das Gleichgewicht muss ja auch immer wieder neu gefunden werden: der Großvater Pop in der zweiten Geschichte ist noch ganz deutlich das Vorbild und der Ermutiger, der dem Jungen signalisiert: ich kann das, und du wirst mit dem Stier auch fertig. Versuch es, du wirst es schaffen. Und wenn man das von jemandem hört, zu dem man aufschaut, und bei dem man sich sicher fühlt, dann hat das Gewicht.

Einige Jahre später geht es dann mehr darum, dass ein Kind mit dem, was es bei den Eltern gesehen und gelernt hat, seinen eigenen Weg geht, der vielleicht ganz anders ist als der Weg der Eltern. Und da muss dieses »ja, du schaffst es« noch einmal anders klingen, damit es ankommt. Damit hatte der Vater aus der ersten Szene offensichtlich Schwierigkeiten.

Man kann aus dieser ersten Szene aber auch lernen, dass die früheren Erfahrungen immer alle noch mitreden. Der Sohn merkt ja durch diesen Brief, dass da früher mal ein gutes Verhältnis war, und er ist darauf durchaus noch ansprechbar. Er merkt, dass ihm das etwas bedeutet. Der letzte Abschnitt in der Beziehung zwischen den beiden, der offensichtlich unglücklich gelaufen war, der hatte das Frühere verdeckt. Aber dadurch ist es nicht wirkungslos geworden.

Es ist wichtig, sich das klar zu machen, dass all die früheren Stufen in der Persönlichkeitsentwicklung uns ein Leben lang begleiten und immer noch da sind. Das kann natürlich bedeuten, dass wir ein Leben lang nicht loskommen von einer unglücklich verlaufenen Stufe. Es bedeutet aber auch, das wir immer wieder anknüpfen können an frühere gute Erfahrungen. Und wir brauchen das eben auch ein Leben lang immer mal wieder, dass jemand uns tröstet wie man eigentlich ein kleines Kind tröstet. Oder dass jemand zu uns sagt: du schaffst das, ich habe das auch geschafft. Oder dass man zu hören bekommt: ja, geh deinen Weg, du musst es anders machen, aber ich habe Vertrauen zu dir.

Und verstehen Sie, wir brauchen das auch immer wieder von Gott. Gott stellt sich auch immer wieder auf die verschiedenen Stufen ein, die in uns lebendig sind und mitreden. Von ihm heißt es, dass er trösten kann, wie einen eine Mutter tröstet. Es gibt aber auch die Situation, wo er einen Menschen sagt: tu einfach, was ich dir sage, hab keine Angst, du wirst es schaffen. Auch wenn du dir das gar nicht vorstellen kannst. Aber auf mein Wort hin tu es! So hat Jesus seine Jünger losgeschickt und hat gesagt: jetzt geht ihr und verkündigt das Evangelium und heilt die Kranken!

Aber Gott akzeptiert uns auch als Erwachsene, die ihren eigenen Weg gehen. Er hat uns nicht akribisch vorgeschrieben, was wir tun sollen, sondern da gibt es ein breites Spektrum von Möglichkeiten, die alle nicht schlecht sind, und ganz häufig überlässt er uns die Entscheidung, ob wir lieber Bäcker oder Schlachter werden wollen, ob wir in Ilsede oder in Peine wohnen und ob wir lieber jemanden mit blonden oder mit braunen Haaren heiraten wollen.

Und so wie Eltern normalerweise darauf hinarbeiten, dass sie selbstständige und erwachsene Kinder haben, so hat es Gott darauf abgesehen, dass wir mündig und selbstverantwortlich werden. Das ist das Ziel, und wenn Gott mit selbstverantwortlichen Menschen zusammenarbeiten kann, dann ist er sozusagen in seinem Element. Er kann natürlich auch mit unmündigen Kindern umgehen, aber sein Ziel sind erwachsene Partner.

Ich glaube, dass das vielen nicht klar ist. Vielleicht trägt ja auch unsere kirchliche Kultur dazu bei, wo manchmal die Betreuung, Schwachheit und Hilflosigkeit sehr stark betont wird. Und deshalb erwarten Menschen in erster Linie, dass Gott ihr Leben einfacher macht. Sie sagen: »Gott, warum hast du zugelassen, dass mir so etwas passiert ist?« Oder: »Gott, könntest du mir nicht einfach dieses Problem aus dem Weg räumen? Es wäre doch so einfach für dich! Könntest du meinen Ehepartner nicht etwas verständnisvoller machen, meine Kinder etwas einfacher, meinen Vorgesetzten klüger, mein Konto voller und das Wetter besser?«

Aber wenn wir davon ausgehen, dass Gott immer mehr Verantwortung in unsere Hände legen will, dann sollten wir vielleicht auch ein paar andere Fragen bereit haben: »was willst du mir damit zeigen? Welche Eigenschaften meines Herzens sollte ich deiner Meinung nach entwickeln, um mit diesem Problem fertig zu werden? Was soll ich sein lassen, was soll ich aufgeben? Auf welche Überzeugungen willst du mich aufmerksam machen, weil sie mir im Weg stehen und mich blockieren?«

Vorhin haben wir gehört, wie Paulus betet zu Gott, der Vater ist über alle Wesen im Himmel und auf Erden. Nachdem Paulus so betont Gott als Vater herausgestellt hat, worum betet er dann anschließend? »Ich bitte ihn, dass er euch aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit beschenkt und euch durch seinen Geist innerlich stark macht.« Es ist der Wunsch und die Aufgabe des Vaters, seine Kinder innerlich stark und reich zu machen. Und Paulus betet weiter um Erkenntnis in jeder Beziehung, und Erkenntnis bedeutet in der Bibel immer praktische Erkenntnis, dass man als königlicher Mensch sicher und souverän das Richtige zu tun weiß.

Das heißt, Gott spricht zu uns ein väterliches Ja, durch das in uns Freiheit und Mündigkeit wachsen sollen. Diese Art Vater zu sein ist das Vorbild für alle, die hier auf Erden diese Rolle erfüllen müssen. Das Gute daran ist: auch wenn bei uns viel schief gelaufen ist, wenn Menschen uns das vorenthalten haben, oder wenn wir selbst unserer Verantwortung da nicht gerecht geworden sind – Gott hat von vornherein gewusst, dass wir nicht genügen würden und manchmal auch scheitern. Er hat gewusst, dass er nachbessern muss. Auch der beste Vater kommt irgendwann an den Punkt, wo Gott weitermachen muss.

Es kommt immer der Tag, wo wir alles Vertraute hinter uns lassen müssen, um mit Gott ins Unbekannte aufzubrechen. Am Ende werden wir von Gott erfahren, wer wir wirklich sind, und wozu wir auf der Welt sind.