Ihr habt die volle Staatsbürgerschaft!

Predigt am 9. März 2003 zu Epheser 2,17-22

17 Jesus ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. 18 Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater.
19 So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, 20 erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, 21 auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. 22 Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.

Als Jesus gekommen ist, da hat er die Grenzen zwischen den Kulturen überwunden. Alle, die zu ihm gehören und in denen sein heiliger Geist wohnt, die gehören zusammen, auch wenn sie aus ganz unterschiedlichen Kulturen kommen. Und die Frage: gehörst du zu Jesus Christus? Diese Frage ist wichtiger als die Frage: welche Sprache sprichst du und in welcher Kultur bist du aufgewachsen?

Als die Sowjetunion auseinanderfiel und der Gegensatz zwischen dem kapitalistischen Westen und dem kommunistischen Osten sich auflöste, da waren Leute richtig auf der Suche und fragten sich: wer ist denn nun der Feind? Und einer dieser Denker kam auf die Idee zu sagen: die nächste Konfliktlinie wird zwischen den Kulturen kommen, zwischen dem Abendland und dem Morgenland. Und er sprach von einem Zusammenprall der Kulturen. Ich will nicht darüber nachdenken, wie sehr er Recht gehabt hat, mir geht es darum zu sagen: es ist dringend notwendig, dass der Friede Christi zwischen unterschiedlichen Kulturen geschlossen wird. Hier im Epheserbrief steht: Jesus hat Frieden verkündet: Frieden denen, die fern waren, also in einer anderen Kultur zu Hause, und Frieden denen, die nahe waren, die also zur eigenen Kultur gehören. Jesus hat eine neue Basis geschaffen, auf der man auch über Kulturgrenzen hinweg zueinander gehören kann.

Als Paulus das schrieb, da hatte er ganz besonders den Unterschied zwischen den Juden und den anderen Völkern im Blick. Die Juden sind die Nachkommen Abrahams, den Gott erwählt hat. Die konnten zu Recht sagen: wir sind etwas Besonderes. Und um diesen religiöse Sonderstellung herum hat sich natürlich auch ein kultureller Unterschied entwickelt. Die Juden hatten ihre eigene Art zu leben, und da war immer ein Graben zwischen ihnen und den anderen Völkern. Aber Jesus hat hier und da diese Grenze schon überwunden, und als er auferstanden war, da war die Grenze von Gott aus nicht mehr nötig, und er hat seine Jünger über diese Grenze hinaus in die ganze Welt geschickt.

Da merkten sie: der Heilige Geist kommt nicht nur zu uns, sondern auch zu den anderen. Und wenn Gott uns durch den heiligen Geist verbindet, dann können wir uns doch nicht voneinander fernhalten. Denn das war die neue Verbindung der Christen untereinander: die Erfahrung des Heiligen Geistes, durch den jeder mit Gott vertraut und bekannt war. Nicht mehr einen bestimmten Lebensstil entwickeln, der möglichst gottgefällig ist, sondern seinen lebendigen Willen kennen, Tag für Tag, sein lebendiges Wort hören und tun. Das können Menschen aus allen Kulturen.

Gott hat das so eingerichtet, damit in der Gemeinde eine Menschheit im Kleinen so zusammenlebt, wie er sich das für die ganze Welt wünscht. Gott will, dass der Unterschied der Kulturen kein Problem ist, sondern eine Bereicherung. Gott wollte eine bunte und vielfältige Welt: deswegen schuf er unzählige Sorten von Blumen und Früchten und Lebewesen, deswegen schuf er die Erde mit soviel verschiedenen Klimazonen von den Tropen bis zum ewigen Eis, und deswegen schuf er die Menschen so, dass sie einen Reichtum an ganz unterschiedlichen Kulturen entwickeln. Und jede Kultur zeigt uns eine andere Seite der Vielfalt, die Gott in den Menschen angelegt hat.

Wissen Sie, woran mir das immer zuerst aufgefallen ist? Am Essen. Es gibt so viele verscheidene Arten des Essens, und fast alle sind wunderbar zum Kennenlernen. Das Essen ist für mich immer ein Zeichen dafür gewesen, wie schön es ist, wenn unterschiedliche Kulturen voneinander lernen. Und da geht es auch am schnellsten mit dem gegenseitigen Kennenlernen, wenn man miteinander kocht und voneinander lernt.

Die böse Macht in der Welt will die Unterschiede zwischen den Kulturen nutzen, um die Menschen gegeneinander zu hetzen, dass die einen die anderen nicht kennen und einer vor dem anderen Angst hat. Die böse Macht will die Menschen trennen, so dass sie sich gegenseitig unheimlich werden. Und das ist ja auch zuerst wirklich eine unsichere Zeit, wenn man Menschen aus anderen Kulturen kennenlernt und nicht genau weiß: wie ist das mit denen? Wie meinen die das? Wie denken die? Und ich will doch nichts falsch machen, und ich will auch nicht, dass ich missverstanden werde. Und dagegen hilft nur: ausprobieren, und sich trauen, und hingehen, auch auf die Gefahr hin, dass man sich zuerst sehr unsicher fühlt und es vielleicht auch wirklich Missverständnisse und Probleme gibt.

Versteht, Gott sagt nicht, dass es in der Gemeinde diese Unsicherheit zwischen den Kulturen nicht geben wird. Die zaubert er nicht weg. Aber in der Gemeinde ist eine Basis da, dass man diese Unsicherheit überwinden kann, weil man weiß, dass man Fehler machen darf. Weil man weiß, dass wir verbunden sind durch den Geist Jesu, der in uns wohnt. Und auf der Basis kann man sich kennenlernen und voneinander lernen, und man sieht sich dann auch selbst mit anderen Augen. Vielleicht merkt man, dass Menschen in anderen Kulturen mit viel weniger Hektik leben, oder man merkt, wie hoch geschätzt Gäste da sind.

Auch in der Gemeinde braucht man Zeit für diese Arbeit, sich zu verstehen und sich kennenzulernen. Auch in der Gemeinde fällt das nicht einfach vom Himmel. Auch in der Gemeinde muss man immer noch Wörter lernen und sich Mühe geben, den anderen zu verstehen. Aber da ist wirklich Hoffnung, dass es gelingt.

Gott möchte in der Gemeinde eine versöhnte Menschheit im Kleinen schaffen, die in Frieden miteinander lebt. Ich habe in den letzten Monaten gelernt, dass wir deshalb eigentlich gar nicht richtig Gemeinde sein können ohne die Fremden, die hier in Deutschland leben. Die Fremden aus aller Welt, die durch politische Entwicklungen hierher gekommen sind, oder auf der Flucht vor Krieg, oder beruflich, die gehören unbedingt dazu. Die Politik unseres Landes ist immer noch von so einer Grundeinstellung geprägt: die sind eine Last oder sogar eine Gefahr, müssen die denn kommen? Aber ich glaube, dass wir als Gemeinden froh sein sollen, wenn wir auf diese Weise die ganze Welt in unsere Nachbarschaft bekommen. Die Welt, die so stark geprägt ist von dem Gegeneinander von mächtigen und ohnmächtigen Ländern, so zerrissen, durch Krieg, Gewalt, Ungerechtigkeit und Unglück. Gott möchte, dass wir da mittendrin Frieden leben und Frieden verkünden.

Denn Gott möchte die Wunden heilen. Er möchte Frieden machen, wo alles so hoffnungslos zerrissen aussieht. Er will eine neue Menschheit ins Leben rufen, nein, er hat es schon getan, in Jesus Christus, der ist der erste neue Mensch. Der ist gestorben an den heillosen Gegensätzen, die unsere Welt durchziehen, aber Gott hat seinen Weg bestätigt, Gott hat den Tod besiegt, er hat ja gesagt zu Jesus, und jeder, der auch Ja sagt zu ihm, der gehört zu dieser neuen Menschheit dazu, und auf dieser Grundlage geht dann die Arbeit los, zu lernen, wie man miteinander leben kann, Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Ländern.

Und darum sagt Paulus hier im Epheserbrief: ihr seid nicht mehr Gäste, ihr seid keine Fremden mehr, sondern ihr habt Bürgerrecht in der Gemeinde. Ihr seid nicht nur geduldet oder Gäste, sondern ihr gehört dazu.

Ich weiß gar nicht, ob wir uns das wirklich vorstellen können. wie das ist, wenn man nicht selbstverständlich sagen kann: ja, hier gehöre ich hin. Hier lebe ich und hier werde ich auch eines Tages sterben. Für uns ist das normal. Aber es gibt ganz viele Menschen auf der Welt, die das von sich nicht sagen können. Ganz viele Menschen, die jedes Jahr wieder hoffen, dass ihnen jemand sagt: ok, du kannst erst mal bleiben. Und die nicht wissen, wie es nächstes Jahr sein wird. Könnt ihr euch vorstellen, wie das ist, wenn man keinen Platz hat, wo man wirklich leben darf?

Aber deswegen sagt Paulus: hier in der Gemeinde, da gehört ihr dazu. Da habt ihr das volle Bürgerrecht, die volle Staatsangehörigkeit. Da seid ihr keine Last, sondern ihr gehört dazu wie alle anderen. Gott will euch da haben, weil er Frieden machen will über alle Grenzen hinweg.

Und, liebe Freunde, Gott möchte, dass wir alle dabei mitmachen. Und das kann uns in Atem halten, das kann auch weh tun, weil wir dann überhaupt erst wirklich anfangen zu spüren, was für Schmerz und Unglück es in der Welt gibt. Durch die Schwestern und Brüder aus den anderen Kulturen bekommen wir das erst richtig mit. Wir spüren dann viel mehr von der Last, die Gott trägt, wenn er auf die zerrissene Welt schaut. Und manchmal haben wir das Gefühl: das kann ich gar nicht ertragen, und am liebsten möchte ich es gar nicht mehr wissen. Aber versteht ihr, das ist der Weg, von dem Gott will, dass wir ihn gehen. Wenn wir im Augenblick nicht sehen, was wir groß ändern können, dann sollen wir jedenfalls diese Last Gottes mittragen. Und Gott wird auch dafür sorgen, dass wir dann das eine oder andere tun können, das Kleine und irgendwann auch das Große.

Gott will hier auf der Erde ein Haus bauen, in dem sein Heiliger Geist eine Heimat hat. Und er baut dieses Haus mit Menschen aus den verschiedensten Kulturen. Dann wird nämlich erst richtig deutlich, dass die Grundlage einer Gemeinde nicht die gemeinsame deutsche Kultur ist, oder vielleicht sogar nur ein schmaler Ausschnitt unserer deutschen Kultur, sondern die Grundlage ist der Weg Jesu, wie ihn die Apostel verkündet haben und die Propheten ihn immer wieder neu aktualisieren.

In ein Haus, das diese Grundlage hat, kommt der Heilige Geist gerne. Da geht er aus und ein. Da verwandelt er Menschen. Wenn du da sein willst, wo Gott ist, dann musst du dahin gehen, wo er Gräben zwischen den Kulturen überwindet und Menschen lernen lässt, miteinander zu leben.

Und vielleicht erreicht das ja irgendwann auch die Menschen, die eigentlich Angst haben vor den Fremden, und die Politiker, die aus diesem Geist heraus Gesetze machen. Es ist ja gut, dass die meisten Menschen in unserem Land inzwischen wissen, dass Krieg nicht sein soll und nur sehr selten Probleme löst. Aber wir müssen einen Schritt weiter gehen: wir müssen Frieden praktizieren, gerade da, wo sich die Gegensätze in unserer Welt vor unserer Haustür melden. Was könnte für ein Segen von unserem Land ausgehen, wenn wir das ernsthaft anpacken würden. Und wieviel von diesem Segen würde zu uns zurückkommen. Gott möchte, dass der Frieden, der in seiner neuen Menschheit herrscht, anderen Mut macht, es auch zu wagen, und dass sein Friede schließlich ausstrahlt in die ganze Welt.