Die K-Frage – Karfreitag und danach

Predigt im Besonderen Gottesdienst am 10. März 2002

Voran ging eine Szene, in der die Auferstehung Jesu Streitpunkt in einem Erbschaftsprozess war. Außerdem eine weitere Szene, in der drei Erwachsene versuchten, einem Kind zu erklären, was »Karwoche« bedeutet.

Ist ein Richter damit überfordert, wenn er über die Auferstehung Jesu urteilen soll?

Man könnte sagen: Nein — denn eigentlich ist es Sache eines Richters, Tatsachen festzustellen und Zeugenaussagen zu beurteilen. Und um nichts anderes geht es bei der Auferstehung Jesu: um Fakten. Da eben in der Gerichtsverhandlung hätten noch mehr Zeugen auftreten können, nicht nur Maria Magdalena, um zu bestätigen: es stimmt, wir haben ihn nach seinem Tode wieder gesehen — lebendig. Es hat damals ziemlich viele Leute gegeben, die das bestätigen konnten: er lebt. Jesus ist nach seinem Tod und seiner Auferstehung so oft immer wieder zu seinen Jüngern gekommen, 40 Tage lang, dass sie am Ende wirklich davon überzeugt waren und es im Rückblick nicht mehr als Einbildung abtun konnten. Wenn es nur einmal gewesen wäre, dann hätten sie es vielleicht als Produkt ihrer überstrapazierten Nerven abtun können. Aber so hatten sie Zeit, sich da ganz sicher zu werden, und dann konnten sie es auch mit ganzer Überzeugung anderen weitergeben.

Man könnte andererseits aber auch sagen: ja, der Richter ist überfordert, denn er arbeitet normalerweise mit bekannten Zusammenhängen und Regeln. Er schließt von allseits bekannten alten Tatsachen auf neue — und hier kommt ihm etwas auf den Tisch, was einmalig ist, neu, so noch nicht vorgekommen. Es entspricht nicht den gesammelten Erfahrungen von Menschen. Bis dahin ist wirklich noch nie jemand wieder auferstanden.

Insofern ist es einleuchtend, warum der Richter sich da irgendwie rauswinden möchte und die Sache am Ende als nicht klärbar beurteilt. Ein einmaliges Faktum, das vorher und nachher keine Parallele hat, das geht uns ganz schwer in den Kopf, auch wenn es noch so gut bezeugt ist.

Vor allem aber können wir an ihm sehen, dass es nicht nur um reine Erkenntnis geht. Der Richter ahnt: wenn ich dieser Frage nachgehe, dann bekomme ich einen Haufen Ärger. Denn es gibt immer Leute, die es nicht mögen, wenn wir die Welt anders sehen, als alle es tun. Wenn wir anfangen, die Welt anders zu sehen, dann brechen wir eine stillschweigende Übereinkunft unter Menschen, und dann kann die herrschende Weltsicht ins Rutschen kommen, und damit auch die ganzen Machtverhältnisse. Und das gibt Ärger. Erkenntnis hat auch immer eine soziale Seite, es gibt Dinge, die darf man nicht sehen und erst recht nicht aussprechen, und dann sehen die meisten sie auch nicht.

Das ist übrigens auch der Grund, weshalb es Berichte über den auferstandenen Jesus nur von seinen Jüngern gibt. Nur die waren gut genug vorbereitet, um so etwas Unwahrscheinliches in Erwägung zu ziehen. Die waren von ihm schon einiges gewöhnt, und vor allem: sie liebten ihn und ihre Freude half ihnen, das Unwahrscheinliche in Erwägung zu ziehen. Schwer genug ist es ihnen immer noch gefallen, das merkt man in den Ostergeschichten ganz deutlich. Das passte nicht in ihr Weltbild, dass der auf einmal wieder lebendig vor ihnen stand, und man konnte sagen: hier liegen noch die Gräten von dem Fisch, den er gegessen hat.

Und man kann nun mit diese Ostergeschichten auf ganz verschiedene Weise — nicht beachten. Das haben wir in der ersten Szene ganz am Anfang gesehen.

  • Man kann nicht kapieren, was das eigentlich bedeutet, dass Jesus auferstanden ist. Das ist die Tante Erika in der Anfangsszene. Die hat nicht die Spur einer Ahnung davon, was das heißt, wenn ein Toter auferweckt wird. Und zwar nicht auferweckt in das alte Leben, das wir kennen, sondern in ein neues Leben in der Welt Gottes. Es war ja keine Totenauferweckung wie bei dem Mädchen, das Jesus einmal wieder ins Leben zurückgeholt hat. Die wird irgendwann doch noch einmal und endgültig sterben — hoffentlich erst nach einem langen und erfüllten Leben. Aber sie wird sterben. Bei Jesus war es aber ein ganz neues und anderes Leben, das er bekam, ein Leben, das dem Tod nicht mehr unterworfen ist. Das ist wirklich die größte Revolution. Denn diese Welt geht normalerweise davon aus, dass der Tod das einzig Sichere ist.

    Aber das kann die Tante Erika nicht verstehen, weil ihr Horizont nur bis zu ausgefallenen Milchzähnen, Ostereiern und der Frage des Freitags-Fisch-Essens reicht. So zerredet sie die Auferstehung und merkt es einfach nicht. Kein Wunder, dass ihre kleine Nichte verwirrt ist bei so viel Chaos im Kopf.

  • Die Mutter versucht sich mit der Erklärung, dass das alles nur symbolisch gemeint sei, und dass man es eben glauben müsse.

    Nun gibt es natürlich Dinge, die man wirklich nur glauben kann, aber die Auferstehung Jesu gehört nicht dazu. Dass ein Mensch mich liebt und zu mir halten wird, das kann ich nie beweisen, das kann ich nur glauben. Aber dass z.B. Cäsar vor über 2000 Jahren ermordet wurde, das kann ich wissen. Glauben brauche ich dazu nicht. Ich bin da zwar abhängig von anderen, die das aufgeschrieben und überliefert haben, und es gibt natürlich noch ein paar ganz Hartgesottene, die steif und fest behaupten, sie selbst seien Cäsar, und sie würden ja noch leben. Aber nach den vernünftigen Massstäben, die wir auch sonst anlegen, kann ich ganz klar wissen, dass Cäsar vor gut zwei Jahrtausenden gestorben ist. Die Fakten sprechen für sich. Da muss ich nichts glauben.

    Die Auferstehung Jesu gehört nun auch nicht zu den Dingen, die man prinzipiell nur glauben kann. Diejenigen, die als erste davon erzählt haben, die meinten nicht: er lebt in unserer Erinnerung weiter. Das wäre nichts Besonderes gewesen. Jeder Tote lebt eine Zeitlang in der guten und schlechten Erinnerung von Menschen weiter Aber die ersten Zeugen der Auferstehung waren deshalb so aus dem Häuschen, weil Jesus ihnen nicht in ihrer Erinnerung begegnete, sondern als wirkliches Gegenüber. In ihrer Erinnerung lebte ein elend zu Tode gequälter Gekreuzigter, aber als er ihnen dann begegnete, da war er dann begegnete ihnen jemand, der war ganz anders, nämlich voll Leben und Zuversicht. Das war nicht ihre Erinnerung.

    Und deshalb berichteten sie von einem realen Ereignis: Jesus ist uns wieder begegnet. Wir haben ihn gesehen. Sein Tod am Karfreitag war nicht das letzte Ereignis in seinem Leben. Sein Leben ging weiter.

    Wenn man aus dieser Zeugenaussage über ein Ereignis, über Fakten, etwas macht, was man glauben muss, dann bringt man alles aufs schiefe Gleis. Dass Jesus nach seiner Kreuzigung wieder lebend gesehen wurde, das ist zwar ungewöhnlicher als der Tod Cäsars, aber damit ist ein ebenso reales Geschehen gemeint.

  • Dann ist da noch der Onkel. Der zieht so seine Schlüsse aus dem Lavieren der beiden anderen und sagt: die spinnen. Ich bleibe bei dem, was sonst immer gilt: Tote werden nicht lebendig. Alles andere ist Unsinn. Er geht dann trotzdem in der Karwoche zur Kirche, weil sich das so gehört, und wahrscheinlich würde er ja sonst auch Ärger mit seiner Frau kriegen, aber im Übrigen ist das alles Unsinn, und ich bin der einzige Realist in dieser verrückten Familie. So muss man sich nicht wundern, wenn die nächste Generation den Schluss zieht, dass in der Kirche nur Spinner und Heuchler sitzen. Die Widersprüche einer Generation zeigen sich in der nächsten dann offen.

Aber nun müsste man eigentlich den Onkel, diesen Realisten, doch mal fragen, warum er denn als Realist die Augen vor Tatsachen verschließt. Wie kommt es, dass so viele Menschen so etwas Unwahrscheinliches behaupten, dass ein Gekreuzigter lebt? Haben die sich das alles ausgedacht? Und für eine Lüge sollten sie das Risiko eingehen, ebenfalls gekreuzigt oder jedenfalls verfolgt zu werden? Und wie kommt es, dass die Priester und die Römer diese Behauptung nicht einfach dadurch widerlegt haben, dass sie gesagt haben: Bitteschön, guckt euch doch die Leiche an, hier ist sie! Nichts wäre ein besserer Gegenbeweis gewesen als die Leiche Jesu. Viele Leute hätten ein Interesse gehabt, sie irgendwo wieder zu finden, aber sie blieb verschwunden. Niemand konnte sie vorweisen.

Stattdessen wurde aus einem Haufen verschreckter Jünger, die sich ängstlich in ihren Häusern verbarrikadierten, damit keiner kommt und sie auch noch holt, eine Gruppe von Menschen, die überall verkündeten: er lebt! Und die keine Angst davor hatten, ins Gefängnis zu kommen oder den Tod zu erleiden. Das behauptet keine andere Religion von ihrem Gründer. Wie kommt so was? Wir haben keine Zeugenaussagen, keine Kameraaufnahmen aus dem versiegelten Grab, aber alles, was darum herum geschah, deutete darauf hin, dass hier etwas völlig Unerhörtes passiert sein muss. Etwas, was die Grundlagen der Welt erschüttert. Und was auch die Jünger und Jüngerinnen persönlich so erschütterte, dass sie nie wieder Angst vor dem Tod hatten. Sie hatten einen so starken Sieg des Lebens erlebt, dass der Tod für sie nicht mehr der Rede wert war.

Es geht ja auch andersherum, dass Menschen so ein schlimmes Erlebnis mit dem Tod haben, dass sie überhaupt keinen Mut zum Leben mehr haben und der Tod wie ein Schatten über ihrem Leben liegt. Bei den Jüngern ist das Gegenteil passiert, dass sie so ein starkes Erlebnis mit dem Leben haben, dass das jetzt wie ein Licht über ihr ganzes Leben strahlt. Der Tod ist verschlungen in den Sieg! so beschreibt es Paulus später.

Wer das alles nicht zur Kenntnis nimmt, wer das für Mythologie hält, der muss sich fragen lassen, ob er denn ein Realist ist oder ob er einfach nur Scheuklappen hat. Realisten zeichnen sich dadurch aus, dass sie neugierig sind auf Tatsachen!

Aber an dieser Stelle wird deutlich, dass es tatsächlich etwas an Ostern gibt, was man glauben muss. Nicht, dass Jesus wieder ins Leben zurückgekehrt ist. Das halte ich für ziemlich einleuchtend. Aber es geht ja nicht um dieses pure Faktum. Es geht darum, dass die Kraft, die in dem verschlossenen Grab am toten Jesus wirkte, dass diese Kraft in unser Leben kommt. Die Jünger hatten durch Jesus mindestens eine Ahnung von dieser Kraft bekommen. Deshalb konnten sie den neuen Begegnungen und Fakten dann auch trauen. Jesus hatte sie schon auf eine Spur gebracht, und das half ihnen, diese Fakten auch richtig einzuordnen.

Im Epheserbrief steht diese wunderbare Stelle, dass die gleiche gewaltige Kraft, die bei der Auferstehung Jesu wirkte, auch im Leben derer wirkt, die an Jesus glauben. Die Kraft, mit der Gott einen Toten zum neuen Leben erweckt hat, die soll in unserem Leben sichtbar werden. Das muss man wirklich glauben, weil wir uns ja dafür öffnen sollen, wir sollen ja diese Kraft in unser Leben hineinlassen. Nicht dass wir zustimmen und sagen: ja, die Indizien deuten ganz eindeutig darauf hin, dass Gott Jesus neues Leben geschenkt hat, nicht das ist das Ziel. Das ist gut, sich das klarzumachen, damit uns unser Verstand nicht dauernd dazwischenfunkt und sagt: das sind alles Märchen mit der Auferstehung.

Aber das eigentliche Ziel ist, dass diese Kraft Gottes mitten im Leben unser Leben verändert. Dass sie an uns so wirken kann wie am toten Jesus. Dass wir von ihr bewegt werden, nicht nur in besonderen Momenten, sondern ein ganzes Leben lang. Dass wir uns dafür öffnen und uns danach ausstrecken. Die Fakten in der Vergangenheit sind gar nicht so unklar. Aber es geht um die Fakten in der Gegenwart. Es soll neue Fakten geben, damit immer mehr Menschen ihre Scheuklappen verlieren und sich öffnen für die Kraft, die Gott jetzt in die Welt hineingeben will.