Das Volk Gottes: wieder auf Null

Predigt am 20. März 2022 zu 1. Könige 19,1-18

Der Predigttext stammt aus dem Alten Testament, aus dem ersten Buch der Könige, Kapitel 19. Er bringt uns zurück in eine dramatische Zeit, in der es auf Messers Schneide stand, ob Israel dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs treu bleiben würde, oder ob stattdessen Baal, der Gott der Macht, der Gott der Könige, der offizielle Staatsgott werden würde. Der König Ahab hatte eine phönizische Königstochter geheiratet, Isebel, und die hatte aus ihrer Heimat den Gott Baal und gleich 450 Baalspriester mitgebracht, Propagandisten des Baal.

Und dann gibt es die berühmte Geschichte, wie auf dem Berg Karmel zwei Altäre errichtet werden, einer für Baal und einer für den Gott Israels, und welcher Gott selbst das Opfer auf dem Altar´ entzünden würde, der würde als wahrer Gott gelten. So hatte der Prophet Elia den Baal herausgefordert. Und in der Tat, als Elia dann betete, da fiel Feuer vom Himmel und verzehrte das Opfer auf dem Altar von Elias Gott. Und das ganze Volk war in diesem Moment überzeugt, dass Baal der falsche war. Und Elia ließ gleich reinen Tisch machen und alle Baalspriester töten.

Das ist für viele heute ein Problem, weil sie sagen: wir können uns nicht vorstellen, dass Jesus so etwas tun würde. Und das stimmt. Auch wenn Jesus durchaus nicht der sanfte Typ war, als der er immer missverstanden wird – eben in der Lesung haben wir ja auch ganz schön heftige Worte von ihm gehört. Aber Jesus und seinen Weg kannte damals eben noch niemand. Im Gegenteil: hätte Elia nicht wie eine Eiche für den wahren Gott gestanden, dann wäre Israel vielleicht endgültig abgefallen, und es hätte Jesus vielleicht nie gegeben.

Der Predigttext heute steht nun im Anschluss an die Geschichte, die ich eben kurz skizziert habe. Die muss man kennen, um das Folgende zu verstehen. Es geht nämlich so weiter:

1 Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte. 2 Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast! 3 Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort.
4 Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Ginster und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter. 5 Und er legte sich hin und schlief unter dem Ginster.

Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! 6 Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen. 7 Und der Engel des HERRN kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. 8 Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.

9 Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des HERRN kam zu ihm: Was machst du hier, Elia? 10 Er sprach: Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; denn die Israeliten haben deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet und ich bin allein übrig geblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen. 11 Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR ging vorüber. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben. 12 Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. 13 Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hier zu tun, Elia? 14 Er sprach: Ich habe für den HERRN, den Gott Zebaoth, geeifert; denn die Israeliten haben deinen Bund verlassen, deine Altäre zerbrochen, deine Propheten mit dem Schwert getötet und ich bin allein übrig geblieben, und sie trachten danach, dass sie mir das Leben nehmen.

15 Aber der HERR sprach zu ihm: Geh wieder deines Weges durch die Wüste nach Damaskus und geh hinein und salbe Hasaël zum König über Aram 16 und Jehu, den Sohn Nimschis, zum König über Israel und Elisa, den Sohn Schafats, von Abel-Mehola zum Propheten an deiner statt. 17 Und es soll geschehen: Wer dem Schwert Hasaëls entrinnt, den soll Jehu töten, und wer dem Schwert Jehus entrinnt, den soll Elisa töten.
18 Aber ich will übrig lassen siebentausend in Israel: alle Knie, die sich nicht gebeugt haben vor Baal, und jeden Mund, der ihn nicht geküsst hat.

Nach dem großen Erfolg, als das Volk sich von Baal abwandte und den Herrn, den Gott Israels, als den wahren Gott erkannte, da hatte Elia wahrscheinlich gedacht: jetzt bin ich durch, jetzt ist es geschafft! Die Entscheidung ist gefallen! Und nach solchen Entscheidungsmomenten ist auch der Stärkste erschöpft. In Elia war die Kraft Gottes wie selten in einem Menschen, aber er war auch ein Mensch mit einem Körper, der irgendwann ans Ende seiner Kraft kommt, und das kann der Heilige Geist nur eine Zeitlang ausgleichen. Selbst Jesus brauchte seinen Schlaf. Auch und gerade, wenn es gut gegangen ist, zehren solche Kämpfe an der menschlichen Substanz.

Der Prophet will sterben

Und deswegen erwischt Isebel den Elia mit ihrer Drohung voll auf dem falschen Fuß: Morgen um diese Zeit bist du so tot wie meine Baalspriester! Der Kampf ist nicht zu Ende, der Feind hat eine wichtige Schlacht verloren, aber der Krieg geht weiter.

Solche Drohungen wie die der Königin gehören ja bis heute zu den Mafiamethoden: Leuten eine tote Ratte in den Briefkasten zu stecken oder ihnen eine Drohmail zu schreiben, das kostet nichts, aber es hat schon seine Wirkung auf die, denen so etwas passiert. Und für Elia, der bis dahin wie eine Eiche gestanden hat, unerschrocken, wie ein Fels in der Brandung, für den ist diese Todesdrohung der eine Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Er kann nicht mehr und läuft weg, so weit er kann; irgendwo in der Wüste legt er sich zum Sterben hin und schläft ein und will nie wieder aufwachen. »Hört das denn nie auf?« denkt er. »Muss ich denn immer weiter kämpfen? Gott, ich will nicht mehr!«

Das ist das Schicksal und die Last der Propheten: Immer wieder kehren die Leute zurück zu den Götzen, immer wieder sehnt sich Gottes Volk danach, ein ganz normales Volk wie alle anderen zu sein, nicht mehr sich unterscheiden und sich entscheiden zu müssen, nicht mehr von diesem anstrengenden Gott in den Konflikt mit der kaputten Ordnung der Welt getrieben zu werden. Warum kann denn die Kirche nicht eine ganz normale Organisation sein wie alle anderen? Wo es zugeht wie anderswo auch? Da weiß man doch, was man hat! Und der Prophet, der Anwalt Gottes unter seinen Leuten, er ist es so müde, er will nicht mehr, er kündigt Gott den Dienst wie es später Jeremia auch wollte, er will lieber sterben.

Zurück an den Anfang

Aber Gott lässt seinen Propheten nicht sterben. Er schickt einen Engel mit Wasser und Brot, Elia isst – und schläft weiter. Und Gott lässt ihn schlafen. Es gibt diese Momente, da muss man einfach schlafen, um sich zu regenerieren. Ich meine damit nicht die Leute, die den Sonntag am liebsten bis zum Mittag im Bett verdösen, sondern ich meine Menschen, die zu Tode erschöpft sind. Das erlebt man zum Glück nicht dauernd.

Und als Elia ausgeschlafen hat, da darf er noch mal essen und trinken, und das reicht dann für die lange Wanderung zum Gottesberg, zum Sinai.

Da am Berg Sinai, der mit anderem Namen auch Horeb heißt, da hat mal alles angefangen. Da hat Mose das Gesetz empfangen und das Volk zum Volk Gottes geformt. Aber es sieht aus, als ob es alles vergeblich war. Und deshalb muss Elia noch einmal dahin, zurück auf Null, dahin, wo alles begonnen hat. Es gibt diese Momente, wo Gottes Volk ganz zurückgehen muss zum Ursprung und noch einmal neu lernen muss, was sein Auftrag ist und was Gottes Wege sind. Die Reformation war wahrscheinlich so ein Moment, und wir sind heute auch an so einem Punkt angekommen, wo wir noch einmal ganz von vorne buchstabieren müssen, worum es im Christentum geht. Wie dieser Fußballtrainer, der eine völlig marode Mannschaft übernommen hatte und denen sagte: lasst uns noch mal ganz von vorn anfangen! Das hier ist der Ball, und der ist rund. Und der muss ins Tor. Darum geht es.

Was machst du hier?

Und da am Horeb erlebt Elia eine Gotteserscheinung wie einst Mose, aber Gott ist nicht im Sturm, im Erdbeben oder im Feuer. Stattdessen eine bedrohliche Stille. Es ist kein sanftes Säuseln, wie Luther übersetzt, sondern ein bedrohliches Schweigen. Gott ist da, man spürt ihn, aber er schweigt. Es geht nicht einfach weiter wie früher. Da ist etwas zerbrochen zwischen Gott und seinem Volk. Und der Prophet wird schroff angeredet: was machst du hier? Warum hast du deinen Posten verlassen? Hast auch du das Vertrauen in mich verloren? Ich bin immer noch der Herr, und es ist mein Kampf! Und ich werde nicht müde. Ich bin hartnäckiger als das heidnische Isebel-Pack. Ich habe den längeren Atem.

Und dann kriegt Elia drei Aufträge: Erstens, salbe Hasael zum aramäischen König! Hasael von Damaskus wird Krieg gegen Israel führen, bis es fast vernichtet ist. Zweitens: Salbe Jehu zum König von Israel! Jehu wird später die Dynastie der israelitischen Könige, einschließlich der Königin Isebel, mit Stumpf und Stiel ausrotten. Drittens: Salbe Elisa zu deinem Nachfolger! Elisa wird das Werk des Elia fortsetzen. Und alles zusammen heißt: Gott führt Krieg gegen sein eigenes Volk. Der Götzendienst im Innern ist ein schlimmerer Feind als die aggressiven Könige in der Nachbarschaft.

Gott gegen sein Volk

Da zeigt sich schon lange vorher, was uns dann ausführlich bei der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier gezeigt wird: wenn Gottes Volk zu den Götzen der Macht und des Mammons überläuft, dann bekommt es auch die Schattenseiten dieser Mammonsordnung zu spüren. Wenn Gottes Volk sein will wie alle Völker, dann bekommt es auch die Gewalt zu spüren, mit der die Völker ihre Angelegenheiten regeln. Aber dann ist kein Gott mehr da, der seinem Volk zu Hilfe kommt.

Und wenn die Kirche eine normale bürokratische Organisation sein will wie alle anderen, dann erntet sie auch die Skandale und Ermüdungserscheinungen, die in solchen Organisationen routinemäßig auftreten. Dann wird sie abhängig vom Geld und von der Gunst der Menschen. Dann verliert sie ihre eigentliche Kraft.

Aber in diese ganze düstere Szene hinein kommt am Ende eine Verheißung: ich will 7000 Menschen übrig lassen. 7000, die nicht übergelaufen sind zum Baal, die sich nicht wünschen, so zu sein wie alle anderen, 7000, die verstanden haben, dass es um die Freiheit von den Mächten geht und nicht um den Pakt mit ihnen. Hör das als Trost oder hör es zu deiner Beschämung, Elia, aber du bist nicht der letzte meiner Propheten. Mein Kampf geht weiter. Ich, der Herr, muss mir die Hände schmutzig machen, wenn ich gegen mein eigenes Volk kämpfe. Aber ich gebe nicht auf. Ich habe verborgene Wege, die keiner kennt außer mir, ich mache weiter mit den verborgenen 7000. Die reichen mir.

Elias Kampf geht immer noch weiter

Und Gott hat weitergemacht auf dem langen Weg, den er mit seinen Menschen durch unsere Welt geht. Am Ende hat er nur noch mit einem einzigen weitergemacht, mit Jesus, und der wurde von der Macht des Imperiums ermordet. Aber als Jesus sich kurz vorher auf dem Berg der Verklärung mit dem Himmel beriet, wie es mit ihm weitergehen sollte, da war Elia mit dabei. Elia wurde, wir hören es schon im Alten Testament, lebendig in den Himmel aufgenommen. Er ist einer von den ganz Großen der Gottesgeschichte. Jesus konnte dann – auch dank Elia – auf andere Weise weitermachen. Aber der Kampf ist immer noch derselbe, gegen die Götzen von Macht und Lüge, gegen die Imperien von Gewalt und Ausbeutung. Auch Jesus will ein Feuer anzünden auf der Erde und wird Konflikte bringen, wir haben es vorhin in der Lesung gehört.

Und immer noch sind es die 7000, die den Unterschied machen. In der Offenbarung des Johannes sind es später 144.000, aber das sind auch nicht wirklich viele. Gott braucht keine großen Zahlen. Wichtiger ist es allemal, dass sein Volk klar ist und bereit, anders zu sein als die anderen. Das Salz der Erde muss salzig bleiben.

Wieder am Anfang

Wir hören das in einer Zeit, in der die christlichen Kirchen und Freikirchen bei uns schon längst nicht mehr 100 % der Bevölkerung umfassen. Und manche denken schon, das wäre das Ende des Christentums unter uns. Aber wahrscheinlich geht da einfach all das zu Ende, was schon lange nicht mehr aus der Kraft Gottes gelebt hat. Und wir wissen noch nicht wirklich, was danach kommen soll. Wir sind auch zurückgeworfen auf den Anfang und müssen neu lernen, worum es eigentlich geht, wenn man Volk Gottes ist.

Das ist eine sehr offene Situation. Es ist wieder die Zeit dieser bedrohlichen Stille, wo Gott schweigt und wir nur manchmal ahnen, wie es weitergehen könnte mit Gottes Weg durch seine Schöpfung. Es ist auch eine Zeit, wo man gefragt wird: was machst du da eigentlich? Bist du auf deinem Posten? Bist du überhaupt noch bereit, zu handeln, wenn ich dir einen Auftrag gebe? Wirst du bei den 7000 sein?

Liebe Freunde, die Geschichte wiederholt sich nicht genau so, wie sie mal war. Erst recht nicht die Geschichte des schöpferischen Gottes, der alles neu macht. Aber er schafft das Neue in diesen offenen Zeiten, wo man nicht weiß, wie es weitergeht. Das sind die Zeiten, in denen wir auf sein Schweigen hören müssen. Wo wir unser Haupt verhüllen und aus der sicheren Höhle heraustreten sollen ins Freie, damit wir es nur nicht überhören, wenn er uns fragt: was machst du? Wo wir es nur nicht überhören sollen, wenn er uns doch wieder einen neuen Auftrag gibt.

Raus ins Freie!

Wir haben uns zu oft in die Höhlen verkrochen, da, wo es sicher zu sein scheint, aber wir sollen raus ins Freie, ins Offene, da, wo man vor Gott steht. Da ist das Leben und der Beginn des Neuen. Politisch wie kirchlich stehen wir vor solchen offenen Situationen, wo man nicht weiß, wie es weitergehen soll und wird. Vor Situationen, wo die 7000 oder die 144.000 das entscheidende Zünglein an der Wage sein können. Wirst du bei den 7000 sein? Das wäre eine gute Nachricht.