Das Evangelium bleibt stecken

Predigt am 13. April 2008 zu Apostelgeschichte 17,16-34

Wir hören heute eine Geschichte davon, wie die Botschaft von der Auferstehung Jesu nach Athen kommt, in das Zentrum der griechischen Kultur. In der Apostelgeschichte ist sehr schön das kulturelle Klima der einzelnen Städte eingefangen, in die Paulus kommt. Athen ist die alte Hauptstadt der griechischen Philosophie. 550 Jahre zuvor haben hier Sokrates und Plato gewirkt, Philosophen, deren Gedanken uns bis heute prägen. Der Baumeister Phidias hat dort wunderbare Tempel und Statuen geschaffen. Als Paulus nach Athen kam, lag das weit zurück. Politisch hatte Athen gar keine Bedeutung mehr. Vor allem Touristen kamen noch dorthin, die das Flair dieser alten Kulturmetropole kennenlernen wollten. Paulus war kein Tourist, aber er musste auf seine Freunde Silas und Timotheus warten und hatte deshalb Zeit, und so schaute er sich alles gründlich an:

16 Während Paulus nun in Athen auf die beiden wartete, sah er sich in der Stadt um. Empört und erschüttert stellte er fest, dass ihre Straßen von zahllosen Götterstatuen gesäumt waren, 17 und er begann, ´mit den Leuten Gespräche zu führen`. In der Synagoge redete er mit den Juden und mit denen, die sich zur jüdischen Gemeinde hielten, und auf dem Marktplatz unterhielt er sich Tag für Tag mit denen, die er dort antraf. 18Dabei kam es auch zu Diskussionen mit epikureischen und stoischen Philosophen. Einige von ihnen spotteten: Was will eigentlich dieser sonderbare Vogel mit seinen aufgepickten Weisheiten? Glaubt er, er könne uns etwas beibringen? Andere meinten: Es scheint, als wolle er Propaganda für irgendwelche fremden Götter machen! ´Zu diesem Schluss kamen sie,` weil sie Paulus, als er das Evangelium verkündete, von Jesus und von der Auferstehung reden hörten. 19 Schließlich nahmen sie Paulus in ihre Mitte und führten ihn vor den Areopag, ´den Stadtrat von Athen`. Dürften wir erfahren, was das für eine neue Lehre ist, die du da vertrittst? , sagten sie. 20 Du redest über Dinge, die uns bisher noch nie zu Ohren gekommen sind, und es würde uns interessieren, worum es dabei eigentlich geht. (21 ´Man muss dazu wissen, dass` sich sämtliche Einwohner Athens und sogar die Fremden, die sich nur vorübergehend in dieser Stadt aufhalten, ihre Zeit am liebsten damit vertreiben, stets das Allerneueste in Erfahrung zu bringen und es weiterzuerzählen.)

Kurz vorher war Paulus in Philippi, Thessalonich und Beröa dauernd in Gefahr geraten. Hier in Athen muss er nicht befürchten, wegen seiner Botschaft angegriffen zu werden. Das schlimmste ist milder Spott, weil die Athener Philosophen natürlich wissen, dass Ihnen keiner was Neues beibringen kann. Aber andererseits scheint es eine große Langeweile zu geben, die froh ist über jeden neuen Gedanken. Die Stadt hat ihre große Zeit längst hinter sich, und geblieben ist Gerede. Es ist ein Klima allumfassender Gleichgültigkeit, wo man alles sagen kann, ohne dass es Folgen hat.

Man hat den Eindruck, dass in diesem Museum der Philosophie Paulus der einzige ist, der lebendig und leidenschaftlich ist. Der geht herum und sieht die vielen Götterbilder und wird wütend, weil diese Bilder natürlich etwas mit den Menschen machen. Was man anschaut und verehrt, das prägt einen. Man muss sich das vorstellen, wie wenn einer heute in eine große Stadt kommt und überall an den Straßen die Werbung sieht und wütend ist über die ganzen verlogenen Bilder, die da Tag für Tag die Menschen beeinflussen.

Und überall da, wo es Orte der geistigen Auseinandersetzung gibt, nämlich bei den Juden in der Synagoge und bei den Philosophen auf dem Marktplatz, ist Paulus dabei. Die Philosophen verstehen ihn gründlich falsch – Auferstehung heißt auf Griechisch Anastasis, und als Paulus von der Auferstehung Jesu redet, da denken sie, er redet von einem Götterpaar namens Jesus und Anastasia. Immerhin kriegt er die Gelegenheit zu einem Auftritt vor dem Stadtrat, der sich mangels anderer Aufgaben scheinbar auch mit Philosophie beschäftigt. Und Paulus hat Zeit, sich Gedanken zu machen, und er knüpft wirklich raffiniert an an die ganze Stimmung in dieser Stadt:

22 Da trat Paulus vor die Ratsmitglieder und alle anderen, die zusammengekommen waren, und begann: Bürger von Athen! Ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass ihr außergewöhnlich religiöse Leute seid. 23 Als ich nämlich durch die Straßen eurer Stadt ging und mir eure Heiligtümer ansah, stieß ich auf einen Altar mit der Inschrift: ›Für einen unbekannten Gott‹. Ihr verehrt also ´ein göttliches Wesen`, ohne es zu kennen. Nun, gerade diese ´euch unbekannte Gottheit` verkünde ich euch. 24 ´Meine Botschaft handelt von` dem Gott, der die ganze Welt mit allem, was darin ist, geschaffen hat. Er, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschen erbaut wurden. 25 Er ist auch nicht darauf angewiesen, dass wir Menschen ihm dienen. Nicht er ist von uns abhängig, ´sondern wir von ihm`. Er ist es, der uns allen das Leben und die Luft zum Atmen gibt und uns mit allem versorgt, ´was wir zum Leben brauchen`. 26 Aus einem einzigen ´Menschen` hat er alle Völker hervorgehen lassen. Er hat bestimmt, dass sich die Menschen über die ganze Erde ausbreiten, und hat festgelegt, wie lange jedes Volk bestehen und in welchem Gebiet es leben soll. 27 ´Mit allem, was er tat,` wollte er die Menschen dazu bringen, nach ihm zu fragen; er wollte, dass sie – wenn irgend möglich – in Kontakt mit ihm kommen und ihn finden. Er ist ja für keinen von uns in ´unerreichbarer` Ferne. 28 Denn in ihm, ´dessen Gegenwart alles durchdringt,` leben wir, bestehen wir und sind wir. Oder, wie es einige eurer eigenen Dichter ausgedrückt haben: ›Er ist es, von dem wir abstammen.‹

Alles was Paulus da erzählt, ist den Griechen nicht fremd. Er fängt an mit dem Heiligtum, das einem unbekannten Gott geweiht ist. Anscheinend hat da jemand ein Gespür dafür gehabt, dass es all die Götterbilder noch nicht bringen, dass die Wirklichkeit Gottes noch etwas anderes ist als die ganzen religiösen Praktiken, die er kannte. In allen Weltanschauungen sind Risse und Widersprüche, aber die Menschen haben sich so daran gewöhnt, dass es ihnen gar nicht auffällt. Und Paulus sagt: ich bringe euch diesen unbekannten Gott, von dem ja einer gespürt hat, dass es ihn irgendwie geben muss. So wie heute jemand sagen könnte: all die Versprechen der Werbung weisen hin auf etwas, was die Produkte nie geben können. Freiheit und Abenteuer und Schönheit und Harmonie und Individualität – glaubst du wirklich, man könnte das bekommen, indem man sich bestimmte Waren kauft? Aber da nicken sie auch noch alle, weil sie das eigentlich wissen.

So redet Paulus davon, dass es einen Schöpfer gibt, der uns das Leben gegeben hat. Dass der größer ist als alle Tempel, die wir ihm bauen können. Dass der nicht von uns abhängig ist. Dass seine Gegenwart alles durchdringt und dass wir ihn suchen sollen. Und alle nicken. Ja, das alles haben griechische Philosophen auch schon irgendwie gesagt. Man hat das Gefühl, dass Paulus bei all dem Wohlwollen mit dem, was er wirklich sagen will, gar nicht verstanden wird. In Wirklichkeit reitet er eine Attacke gegen die ganze griechische Religiositöt und Philosophie mit den eigenen Werkzeugen dieser Kultur. All diese kritischen Gedanken hat es bei den Griechen auch schon gegeben, aber Paulus verbindet sie zu einer Fundamentalkritik an der ganzen Art zu denken und zu leben. Wahrscheinlich haben die Philosophen die verborgene Kritik schon gespürt, aber sie haben es nicht in Worte fassen können. Aber jetzt bringt Paulus es auf den Punkt:

29 Wenn wir nun aber von Gott abstammen, dürfen wir nicht meinen, die Gottheit gleiche ´jenen Statuen aus` Gold, Silber oder Stein, die das Produkt menschlicher Erfindungskraft und Kunstfertigkeit sind. 30 In der Vergangenheit hat Gott gnädig über die Verfehlungen hinweggesehen, die die Menschen in ihrer Unwissenheit begangen haben. Doch jetzt fordert er alle Menschen an allen Orten zur Umkehr auf. 31 Er hat nämlich einen Tag festgesetzt, an dem er durch einen von ihm bestimmten Mann über die ganze Menschheit Gericht halten und über alle ein gerechtes Urteil sprechen wird. Diesen Mann hat er vor aller Welt ´als den künftigen Richter` bestätigt, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.
32 Als Paulus von der Auferstehung der Toten sprach, brach ein Teil der Zuhörer in Gelächter aus, und andere sagten: über dieses Thema wollen wir zu einem späteren Zeitpunkt mehr von dir erfahren. 33 Damit endete die Anhörung, und Paulus verliee die Ratsversammlung. 34 Doch einige Leute schlossen sich ihm an und kamen zum Glauben, so zum Beispiel Dionysios, ein Mitglied des Stadtrats, und eine Frau namens Damaris; und es gab noch andere, die zusammen mit diesen beiden ´an Jesus glaubten`.

Paulus ist in seiner Rede immer kritischer geworden, aber erst mit der Auferstehung Jesu platzt sozusagen die Bombe. Dass man umkehren soll, na gut, das lässt man sich schon sagen, denn wir wissen ja alle, dass wir nicht perfekt sind. Dass Gott die Welt richtet, das geht zur Not auch noch durch. Aber dass einer von den Toten auferweckt worden ist, das war den Griechen zu viel. Es ging ja nicht um die Unsterblichkeit der Seele, dass nach dem Tode nicht alles aus ist und wir irgendwie weiterleben. Das glaubten auch die Griechen. Das glauben eigentlich fast alle Menschen. Aber Paulus redet von der Auferstehung eines Menschen, die schon geschehen ist. Und das ist etwas ganz anderes.

Auferstehung bedeutet eine neue Welt. Nicht einen Versuch, besser zu werden, an dem man dann regelmäeig und erwartungsgemäe scheitert. Sondern eine neue Wirklichkeit, durch die wir effektiv andere Menschen werden. Auferstehung bedeutet, dass wir eine reale Alternative haben. Auferstehung bedeutet Revolution. All die Diskussionen der griechischen Philosophen veränderten ja die Welt nicht. Sie haben sie nur immer wieder neu interpretiert. Dass am Ende aller menschlichen Wege der Tod steht, das haben die Griechen nie in Frage gestellt. Aber Auferstehung bedeutet, dass der Tod besiegt wird, und dass wir uns dieser Revolution anschließen sollen. Dass wir nicht mehr resignierte Betrachter der Welt sein sollen. Sondern Teil der Bewegung Gottes, die diese Welt vom Kopf auf die Füße stellt.

Im Augenblick hört und liest man ja viel über die wilden Tage von 1968, als die Studenten rebellierten. Und was Paulus da in Athen von der Auferstehung erzählte, das muss denen ungefähr so fremd geklungen haben, wie 1968, als die Studenten riefen: Opa, runter vom Balkon, unterstütz den Vietcong!

Auferstehung zielt genau darauf ab, dass wir nicht mehr Betrachter der Welt und unseres Lebens bleiben, die sich mit der Macht des Todes in der Welt abgefunden haben, sondern dass Gott dabei ist, die Machtverhältnisse in der Welt grundlegend zu verändern, und dass wir auf seiner Seite stehen. Es gibt keinen radikaleren Angriff auf die bestehenden Verhältnisse als die Verkündigung der Auferstehung Jesu.

In Philippi ist Paulus dafür ins Gefängnis gekommen. In Athen wird er von den einen ausgelacht und die anderen gehen erstmal zum Mittagessen und verschieben das Thema auf den St. Nimmerleinstag. Es gibt eine Toleranz, die sich gegen das Evangelium noch viel effektiver verschließt als Feindschaft und Verfolgung. In Philippi hat Paulus im Gefängnis eine Gemeinde gründen können, die Bestand hatte. In Athen, in diesem Klima der freundlichen Gleichgültigkeit, kommen zwei Leute zum Glauben und noch ein paar andere irgendwie auch, aber es wird nichts davon berichtet, dass eine Gemeinde entstanden ist. Der Angriff von Paulus läuft gegen eine Gummiwand, es ist, als ob sie ihn in Watte packen. Noch nicht mal beschimpfen tun sie ihn.

Man hat das Gefühl, da sagt ein freundlicher Opa zu Paulus sagt: ach, komm erst mal in mein Alter, dann sieht man das schon viel gelassener, lass dir unseren leckeren Schafskäse und den guten Wein schmecken, da fühlt man sich auch fast so, als ob man von den Toten auferstanden wäre.

Der Aufenthalt von Paulus in Athen blieb eine Episode. Anschließend reiste er nach Korinth, und im Rückblick schreibt er, dass er dort voller Furcht ankam. Dazu haben sicher nicht nur die Verfolgungen in Philippi beigetragen, sondern genauso diese Erfahrung von Athen, die Paulus wahrscheinlich unterschwellig viel Kraft gekostet hat. Diese freundliche Gleichgültigkeit, die ja auch uns nicht selten begegnet, die kann viel entmutigender sein als offener Widerstand. Alle sagen: ja, ja, sehr interessant, was du da erzählst, aber man kommt nicht ran an die Menschen. Es läuft alles ins Leere. Die Argumente sind alle richtig, sie stoßen auf Zustimmung: ja, es stimmt, wir machen alle unsere Gotteserfahrungen, ja, Gott ist die Kraft in uns allen, ja, er ist ganz wichtig. Aber es bleibt alles im Rahmen einer folgenlosen Weltanschauung, es wird keine Lebenspraxis daraus. Opa bleibt auf dem Balkon und schaut vom Schaukelstuhl aus zu, wie andere Revolution machen.

In Korinth war das anders. Paulus kam in demoralisiertem Zustand dorthin, aber dort hat er eine große und lebendige Gemeinde gegründet. In Korinth pulsierte das Leben, das war nicht so eine Touristen- und Rentnerstadt wie Athen. In Korinth fluteten Menschen aus allen Ecken des Reiches durcheinander, es gab Konflikte und Emotionen, es gab Unmoral und Profitgier, es ging hoch her, auch in der Gemeinde. Aber da hat das Evangelium die Menschen erreicht und bewegt. Man kann ein Schiff nur auf einen anderen Kurs bringen, wenn es eine Geschwindigkeit hat. Athen war die berühmte Hauptstadt der griechischen Kultur, aber in Wirklichkeit war es wie ein Schiff, das nur noch in der Flaute vor sich hin dümpelt.

Paulus hat diese Erfahrung später im ersten Korintherbrief verarbeitet. Deswegen war das vorhin die Epistellesung (1. Korinther 1,20-29). Erinnern Sie sich noch?

20 Wie steht es denn mit ihnen, den Klugen, den Gebildeten, den Vordenkern unserer Welt? Hat Gott die Klugheit dieser Welt nicht als Torheit entlarvt? 21 Denn obwohl sich seine Weisheit in der ganzen Schöpfung zeigt, hat ihn die Welt mit ihrer Weisheit nicht erkannt.

Da redet er von seinen Athen-Erfahrungen! Aber dann beschreibt er den Weg des Kreuzes, also den Weg hin zu den Menschen, der in Konflikt und Leiden führt. Die Kraft der Auferstehung ist da zu finden, wo die Macht des Todes besonders stark ist. Da bleibt es nicht eine theoretische Wahrheit, dass Menschen irgendwie nach Gott fragen. Sondern da hungern Menschen nach Antworten, sie brauchen diese Antworten für ihr Leben. Sie können nur mit diesen Antworten überleben. Aber sie können diese Antworten nur finden, wenn wir nahe bei ihnen sind.

Was Paulus in Athen gesagt hat, war alles richtig. Aber erst in Korinth hat es eine Bedeutung bekommen. Erst in Korinth ist ein anderer Lebensentwurf daraus geworden. Erst in Korinth sind die Leute vom Balkon gekommen und haben sich der Revolution Gottes angeschlossen.

Liebe Freunde, es gibt zwei Arten, über die Auferstehung zu denken, die eine, die alles beim Alten lässt und die andere, die alles in Bewegung bringt. Es gibt zwei Arten, mit der Wahrheit Gottes umzugehen: entweder wir betrachten sie oder wir leben sie. Entweder wir bleiben auf dem Balkon und gießen die Blumen oder wir kommen runter und machen bei Gottes Revolution mit. Bei einer der beiden Denkweisen werden wir landen. Bei welcher wollen wir landen?