Welcher Frieden? Welcher Herr?

Predigt am 24. März 2008 (Ostermontag) zu Apostelgeschichte 10,36-43

Der Text, den wir heute hören, ist ein Ausschnitt aus einer langen Geschichte, die über das ganze Kapitel geht. Am Anfang hat Petrus eine Vision, die ihn vorbereitet auf das was kommen wird: die Boten eines römischen Offiziers werden an seine Tür klopfen und ihn im Namen des Hauptmanns Kornelius einladen, in dessen Haus zu kommen und seine Sache vorzutragen. Auch Kornelius hat eine Vision gehabt, in der ihn ein Engel dazu aufgefordert hat, Petrus einzuladen.

Man merkt an dieser Vorgeschichte, was für eine schwierige Sache das ist. Zwischen dem Juden Petrus und dem Römer Kornelius liegen Welten. Sie haben nicht dieselbe Religion. Der eine ist Angehöriger eines unterworfenen Volkes, der andere ein Rad im Getriebe der römischen Militärmaschine. Selbst wenn Kornelius persönlich ein integerer Mann ist, es bleibt dabei, dass die beiden nicht in derselben Mannschaft spielen.

Und wenn Gott daran arbeitet, diesen Graben zu überwinden, dann muss er dieses Mal zu ganz außergewöhnlichen Mitteln greifen. Visionen und Engel, und das nicht zu knapp. Aber schließlich steht Petrus im Haus des Kornelius, und der hat schon seine ganzen Freunde und Bekannten versammelt, und Petrus kommt mit einer Delegation von Christen: das ist keine beliebige, zufällige Begegnung, sondern eine historische, wenn man das so sagen kann.
Aber sie ist nicht ohne Wurzeln in dem, was Jesus getan hat: von dem gibt es eine ganze Menge Geschichten, in denen er Brücken schlägt zu den Römern im Lande. Zuletzt ist es der römische Kommandant des Hinrichtungskommandos, der Jesus sterben sieht und tief beeindruckt ist von ihm. Das römische Imperium hatte die halbe Welt erobert, aber die römischen Menschen waren in sich tief verunsichert. Der offizielle Staatskult in den Tempeln erreichte die Herzen immer weniger. Was da offiziell von Ruhm, Ehre und Vaterland und dem Beistand der Götter erzählt wurde, das erreichte den einzelnen Menschen nicht mehr, es gab ihm keine Nahrung für die Seele.

Deshalb suchten viele, gerade unter den Soldaten, nach etwas anderem, was ihrem Leben einen Sinn gab. Manche lernten bei ihrem Dienst an der Ostgrenze orientalische Götter und Kulte kennen und brachten sie mit zurück nach Rom. Und es gab offenbar auch in Israel Römer, die sehr beeindruckt waren von der Religion, die sie dort kennen lernten. Es gab damals den Status der »Gottesfürchtigen«, die nicht richtige Mitglieder des Volkes Israel waren, aber so eine Art Sympathisanten. So einer war wohl auch Kornelius. Er spendete, er betete zum Gott Israels, aber er hatte offensichtlich noch nicht das Gefühl, dass er angekommen war. Er wusste irgendwo her, dass es noch mehr geben musste, und jetzt, als Petrus kommt, da erwartet er sich die Antwort auf seine Gebete. Was also ist es, was Petrus ihm ihm sagen wird? Das ist heute unser Predigttext:

36 »´Was ich euch bringe, ist` die Botschaft, die Gott bereits den Israeliten verkünden ließ; es ist das Evangelium vom Frieden durch den, der über alle Menschen Herr ist, Jesus Christus. 37 Ihr habt sicher von dem erfahren, was sich im ganzen jüdischen Land zugetragen hat. Angefangen hatte es in Galiläa, nachdem Johannes zur Taufe aufgerufen hatte: 38 Jesus von Nazaret wurde von Gott mit dem Heiligen Geist gesalbt und mit Kraft erfüllt und zog dann im ganzen Land umher, tat Gutes und heilte alle, die der Teufel in seiner Gewalt hatte; denn Gott war mit ihm. 39 Wir Apostel sind Zeugen von all dem, was er im jüdischen Land und in Jerusalem getan hat. Und dann hat man ihn getötet, indem man ihn ans Kreuz hängte. 40 Doch drei Tage danach hat Gott ihn auferweckt, und in Gottes Auftrag hat er sich als der Auferstandene gezeigt – 41 allerdings nicht dem ganzen Volk, sondern nur denen, die Gott schon im Voraus zu Zeugen bestimmt hatte, nämlich uns Aposteln. Mit uns hat er, nachdem er von den Toten auferstanden war, sogar gegessen und getrunken. 42 Und er gab uns den Auftrag, dem ganzen Volk mit allem Nachdruck zu verkünden und zu bezeugen, dass er der von Gott eingesetzte Richter ist, der über die Lebenden und über die Toten das Urteil sprechen wird. 43 Schon die Propheten haben von ihm geredet. Durch ihn, so bezeugen sie alle übereinstimmend, bekommt jeder die Vergebung seiner Sünden – jeder, der an ihn glaubt.«

Was sagt Petrus hier einem Heiden, der wissen will, was der Gott Israels ihm sagt?

Das erste ist »das Evangelium vom Frieden durch den, der über alle Menschen Herr ist, Jesus Christus«. Leute, das muss ein schwerer Brocken für Kornelius gewesen sein, gleich zwei Zumutungen in einem Satz! Sie fragen sich jetzt vielleicht, wo da die Zumutungen liegen? Wer kann denn schon was gegen ein bisschen Frieden haben? Aber so einfach ist das nicht! In Rom gab es seit undenklichen Zeiten den Tempel des Gottes Janus, und die Tore des des Janustempels hatten eine ganz besondere Funktion: sie standen offen, so lange es irgendwo im Reich Krieg gab, und nur wenn überall Frieden herrschte, dann wurden sie geschlossen. Und leider standen sie im römischen Reich fast immer offen. Es gab sehr selten Frieden, irgendwo wurde immer gekämpft.

Eine Ausnahme war der große Kaiser Augustus. Als der im Bürgerkrieg gegen seinen Rivalen Antonius gesiegt hatte, ließ er die Tore des Janustempels schließen, weil jetzt Frieden herrschte. Das war nach der Schlacht von Actium im Jahre 31 v. Chr. Und die Menschen atmeten auf. Nach so langen Kriegen, die so viel zerstört hatten, war endlich Frieden. Die besiegten Völker erlebten das zwar anders, einfach als einen Sieg der römischen Militärdampfwalze, aber tatsächlich wurde nicht mehr gekämpft. Wenn auch nicht für lange Zeit, auch unter Augustus gab es wieder Kriege, aber Augustus profilierte sich tatsächlich als Friedenskaiser. Er rühmt sich in seiner Lebensbeschreibung, dass während seiner Regierungszeit die Tore des Janustempels dreimal geschlossen wurden. Diese Lebensbeschreibung konnte man in Rom auf Bronzesäulen lesen, die nach seinem Tod im Jahr 13 n. Chr. aufgestellt wurden. Und steinerne Kopien davon wurden in den großen Städten des Reiches aufgestellt. Eine davon hat man vor knapp 100 Jahren in Antiochia gefunden, das ist nur 400 Kilometer entfernt von Cäsarea, wo Kornelius wohnte. Wahrscheinlich gab es auch an seinem Standort so eine Inschrift. Und die aktuelle Mitteilung des Kaisers, dass ein Sieg errungen war und jetzt vielleicht Friede herrschte, die hieß ganz offiziell »gute Nachricht«, auf Griechisch »Evangelium«. Der Kaiser wurde »Kyrios« genannt, der Herr. Der Kyrios ließ sein Evangelium vom römischen Frieden, der Pax Romana, im ganzen Reich verkünden.

Das heißt, als Petrus mit Kornelius sprach, war die offizielle römische Staatspropaganda: durch den Kaiser, den Herrn, kommt das Evangelium vom Frieden. Kornelius war das alles wohlvertraut. Aber jetzt kommt Petrus und redet zu ihm über »das Evangelium vom Frieden durch den, der über alle Menschen Herr ist, Jesus Christus«. Verstehen Sie, was das bedeutet? Zwei Zumutungen: der Frieden kommt durch Jesus, und er ist der Herr aller Menschen. Petrus sagt durch die Blume: was Rom angeblich durch die militärische Macht des Herrn und Kaisers erreichen will, das gibt es in Wirklichkeit bei uns. Bei Jesus Christus.

Das ist eine Botschaft, so steil, als ob man in der DDR, als es sie noch gab, zu einem Parteifunktionär gesagt hätte: Glaubst du eigentlich wirklich an das, was deine Organisation vertritt? Komm zu uns! Den wirklichen Sozialismus, den findest du bei uns, bei Jesus! Wahrscheinlich ist das gar nicht erlaubt, dass Kornelius noch weiter zuhört. Wahrscheinlich müsste er das Gespräch sofort beenden und die Staatssicherheit informieren. Aber er tut es nicht. Er will unbedingt und um jeden Preis hören, was Petrus ihm zu sagen hat. Die Wahrheit, die sein Herz sucht, die ist viel wichtiger als die Treue zur Armee.

Und dann erzählt Petrus von Jesus, was der gemacht hat, wie er die Menschen aus der Gewalt des Teufels befreit hat. Warum erzählt Petrus jetzt gerade von dem Konflikt Jesu mit dem Teufel? Er meint damit ja nicht nur die Kranken, sondern auch die Dämonisierten. Wenn man sich daran erinnert, dass Jesus mal einen Dämon gefragt hat: »Wie heißt du?« und der antwortete »mein Name ist Legion«, dann merkt man, dass die vielen von Dämonen Geplagten im Land Israel etwas zu tun haben müssen mit der Anwesenheit der römischen ‚Legionen‘. So wie die Dämonisierten von fremden Einflüssen besetzt waren, so war ganz Israel von fremden Mächten besetzt, von Rom. Aber Jesus konnte die heilen, die am meisten darunter litten, wahrscheinlich würden wir heute sagen: die, die durch die ganze Situation traumatisiert waren. Jesus konnte die Wunden heilen, die Macht und Gewalt geschlagen haben.

Aber dann wurde er an einem römischen Kreuz zu Tode gefoltert. Petrus spricht es nicht aus, er sagt »Holz« statt »Kreuz«, aber natürlich weiß jeder, dass das die römische Strafe für gefährliche Unruhestifter ist. Das Kreuz war die dunkle Rückseite des römischen Friedens.

Aber dann geht es weiter: dieser heilende Unruhestifter ist auferstanden. Gott hat Ja zu ihm gesagt. Er ist fortan der Richter über die Lebenden und die Toten. Er ist der Maßstab, mit dem fortan jeder gemessen wird. Das ist das wirkliche Evangelium. Frieden durch den, der über alle Menschen Herr ist: nicht der Kaiser, sondern Jesus. In Wahrheit ist der der Herr, der dem Bösen widerstehen kann und die Wunden heilt, die es geschlagen hat. Durch ihn gibt es Vergebung der Sünden. Das ist der neue Weg. Keiner ist mehr gebunden an das Unrechtssystem, dem er bisher gedient hat. Keiner ist fortan mehr ein Gefangener seiner Geschichte, aus der er nicht mehr aussteigen kann. Und Petrus endet mit einer richtigen Aufforderung zur Umkehr: jeder, der an Jesus glaubt, ist frei von dem Unrecht, das er getan hat und in dem er bisher gefangen war.

Aber Kornelius braucht gar nicht antworten, sondern noch während Petrus redet, fällt der Heilige Geist auf die Zuhörer, ihr Herz hat längst Ja gesagt zu diesem neuen Evangelium, das sie da hören, und Petrus lässt sie dann nur noch zur Bestätigung taufen.

Liebe Freunde, das ist die Geschichte davon, wie das Evangelium ganz deutlich anfängt, echten Frieden zu bringen. Irgendwo in einem unbeachteten Winkel der Weltgeschichte schließen Petrus und Kornelius ihren Privatfrieden miteinander im Namen Jesu. Es war nicht einfach, Gott musste beide ziemlich pushen, bis sie zusammenkamen, aber es ist gelungen, und es wird noch viele solcher Friedensschlüsse geben. Frieden, der heilt und nicht auf Wunden gegründet ist. Frieden, der mit Menschen geschlossen wird, die die Lager verlassen, zu denen sie bisher gehört haben. Menschen, die merken, dass sie selbst zu kurz kommen, wenn sie nur Funktionäre sind, im Dienst einer Organisation, die ihr Herz nicht lebendig machen kann.

Diese Geschichte ist eine Aufforderung zur Fahnenflucht, selbst wenn Kornelius weiter Soldat in römischen Diensten bleibt. Aber sein Herz ist nicht mehr in römischen Diensten. Diese ganzen hohlen Phrasen von Ruhm, Ehre, Vaterland, Frieden und Sicherheit, die halten ihn nicht mehr. Er wird nie mehr ein zuverlässiger Funktionsträger sein, seine Loyalität gilt jetzt einem anderen.

Das ist gemeint, wenn es heißt, dass Jesus alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist. So sieht das aus, wenn er jetzt die Welt regiert. Er stiehlt den Mächten die Herzen der Menschen, und wenn erstmal die Herzen weg sind, dann ist auf die Menschen kein Verlass mehr. Menschen, die auf Jesus hören, die innerlich gesund werden, die nicht mehr angewiesen sind auf Orden und Ehrenzeichen, die erlebt haben, dass der Frieden nicht aus den Gewehrmündungen kommt, die gehören zur neuen Welt, an die kommen die Mächte dieser Welt nicht mehr heran. Da breitet sich die Auferstehung aus. Taufe bedeutet, dass die Auferstehung Jesu in unserem Leben angekommen ist. Das bedeutet in dieser Welt auch Konflikt, das kann sogar Leiden und Kreuz bedeuten, aber wir sind befreit, wir leben mit dem Ja Gottes im Rücken. Wir gehören zur neuen Schöpfung. Unter uns hat sie angefangen.

Was das dann für Kornelius bedeutet, was das für jeden von uns bedeutet, das kann ich hier nicht erzählen. Das würde zu viel werden. Das weiß ich auch gar nicht alles. Das könnt letztlich nur ihr herausfinden. Wenn ihr Gott so hartnäckig fragt, wie Kornelius es getan hat, dann werdet ihr eine Antwort bekommen. Vielleicht müsst ihr auch Menschen fragen, wie Kornelius Petrus gefragt hat. Aber wenn ihr die Antwort wirklich wirklich hören wollt, unbedingt und um jeden Preis, dann werdet ihr sie bekommen.