Ist da noch mehr? Aber was?

Predigt im Besonderen Gottesdienst am 22. Januar 2006 mit Apostelgeschichte 10

10,1 Es war aber ein Mann in Cäsarea mit Namen Kornelius, ein
Hauptmann der Abteilung, die die Italische genannt wurde. 2 Der
war fromm und gottesfürchtig mit seinem ganzen Haus und gab dem
Volk viele Almosen und betete immer zu Gott.
3 Der hatte eine Erscheinung um die neunte Stunde am Tage und sah deutlich einen
Engel Gottes bei sich eintreten; der sprach zu ihm: Kornelius! 4
Er aber sah ihn an, erschrak und fragte: Herr, was ist? Der sprach
zu ihm: Deine Gebete und deine Almosen sind vor Gott gekommen, und
er hat ihrer gedacht. 5 Und nun sende Männer nach Joppe und laß
holen Simon mit dem Beinamen Petrus. 6 Der ist zu Gast bei einem
Gerber Simon, dessen Haus am Meer liegt.
7 Und als der Engel,
der mit ihm redete, hinweggegangen war, rief Kornelius zwei seiner
Knechte und einen frommen Soldaten von denen, die ihm dienten, 8
und erzählte ihnen alles und sandte sie nach Joppe.

Kornelius ist einer, dem nichts fehlt. Er ist römischer Besatzungsoffizier
in Israel, und das war ein guter Posten. Er wird nicht schlecht
verdient haben, er konnte befehlen, er musste sich nicht im Krieg
in Lebensgefahr begeben – er hätte zufrieden sein können. Aber es
reichte ihm nicht. Ihm war dieses komfortable Leben nicht genug.
Er ahnte, dass da noch mehr wäre, und er hatte das Glück, dass er
nicht auf Vermutungen angewiesen war. Er lebte ja in Israel, unter
dem Volk Gottes. Er scheint verstanden zu haben, dass hier der wahre
und lebendige Gott zu finden war. Das, was alle Menschen suchen,
hat hier einen Namen und ist bekannt.

Erstaunlich, dass Kornelius bereit war, von den Unterworfenen
zu lernen. Seine Sehnsucht nach Wahrheit muss groß gewesen sein.

Aber da war eine große Barriere: Juden und Heiden blieben getrennt.
Sie konnten nicht zusammen essen, noch nicht einmal das Haus des
anderen betreten. Das war die Barriere der unterschiedlichen Religion,
und auch wenn Kornelius betete und den Armen gab – er blieb draußen.
Aber das was er tun konnte, das tat er: er hoffte und wartete. Die
Sehnsucht nach der Wahrheit war stark in ihm.

Überall in der großen Geschichte Gottes finden wir Menschen,
die darauf warten, dass ihnen noch einmal etwas Entscheidendes passiert.
Dass dieses Leben nicht irgendwie spurlos vorüber geht, sondern
dass da noch etwas Großes und Einzigartiges geschieht. Wer sich
nachts im Bett herumwälzt und nicht schlafen kann, weil er nicht
weiß, was mit dem Leben eigentlich ist, der fühlt nur undeutlich,
worum es geht. Die Menschen der Bibel wissen meistens genauer, was
sie erwarten: dass Gott noch etwas Großes und Gutes in ihrem Leben
tut, dass da etwas Neues beginnt, das ohne Gott nicht in ihr Leben
kommen würde.

Auf jeden Fall ist da in uns eine Ahnung davon, dass das Leben
sich nicht im täglichen Einerlei erschöpft. Und dann sagen wir:
das kann es doch noch nicht gewesen sein! Eine der größten Ängste
des Menschen besteht darin, ein sinnloses Leben gelebt zu haben.
Seine Mission zu finden und sie zu erfüllen, ist vielleicht die
sinnvollste Beschäftigung, der sich ein Mensch widmen kann. Auf
uns wartet noch eine Aufgabe, eine Erneuerung, die Begegnung mit
dem vollen Leben! Und es ist besser, das wenigstens erkannt und
ersehnt zu haben, als dieses Defizit noch nicht einmal entdeckt
zu haben. Wahrscheinlich wird keiner mit seiner Lebensaufgabe ganz
fertig, aber anpacken sollten wir sie schon in den Jahren, die noch
vor uns liegen!

Wie ist es mit Kornelius weitergegangen? Gott hat ihm gezeigt,
dass er Petrus holen soll, und auch Petrus wird darauf vorbereitet,
dass er zu einem Römer ins Haus gehen soll. Insgesamt muss Gott
einen Engel, eine Vision und eine Stimme aufbieten, um die tiefsitzenden
religiösen Vorurteile und Barrieren zwischen Petrus und Kornelius
zu überwinden. Aber dann ist Petrus bei Kornelius, und der hat schon
seine ganzen Verwandten und Freunde zusammengeholt und wartet auf
das, was Petrus ihm erzählen wird. Und da gibt es zuerst Missverständnisse,
denn Kornelius kniet vor Petrus nieder, und Petrus muss ihm erst
erklären, dass er auch nur ein Mensch ist.

Aber dann predigt Petrus das Evangelium, und es heißt (v. 44-46):
„Während Petrus noch über alle diese Dinge sprach, kam der Heilige
Geist auf alle herab, die seine Botschaft hörten. Die Gläubigen
jüdischer Herkunft, die Petrus nach Cäsarea begleitet hatten, waren
außer sich vor Verwunderung, dass die Gabe Gottes, der Heilige Geist,
auch über Nichtjuden ausgegossen wurde. Sie hörten nämlich, wie
die Versammelten in geistgewirkten Sprachen redeten und Gott für
seine Größe priesen.“

Kornelius, der römische Besatzungsoffizier, findet seinen Lebenssinn
in der Begegnung mit dem lebendigen Gott. Er hat dann sicher auch
weiterhin Gutes getan und seine Lebensaufgabe besser verstanden.
Vielleicht hat er ja, als er abgelöst und in die Heimat versetzt
wurde, zu denen gehört, die die christliche Gemeinde in Rom gegründet
haben. Aber das wird nicht mehr erzählt – hier in der Apostelgeschichte
erfahren wir nur vom Zentrum des Ganzen: dass seine Suche zu Ende
war, als er das Evangelium von Jesus Christus hörte und der Heilige
Geist es deutlich bestätigte. Von diesem Zentrum aus bekommt dann
auch das ganze Umfeld des Lebens seinen Sinn, all die kleinen und
größeren Dinge, die man dann auch tut.

Das hat dann in der Folge manchmal zu Missverständnissen geführt,
als ob es nur auf dieses eine Zentrum ankäme und die Umwälzung des
ganzen Lebens gar nicht mehr nötig sei oder irgendwie von selbst
käme – im Traum vielleicht, wie es sich der Mann in der Szene am
Anfang erhoffte.

Das bedeutet, wir müssen verstehen, wie all die vielen möglichen
Sinngebungen unseres Lebens zusammenpassen. Es gibt da ja verschiedene
Ebenen:

  • Es gibt die Dinge, die niedriger sind als wir – und man kann
    versuchen, darin den Sinn seines Lebens zu finden: viel zu haben,
    sich Dinge kaufen zu können, Macht auszuüben, bewundert zu werden,
    und was sonst noch zu dieser eher einfachen Ebene gehört, auf der
    man versuchen kann, den Sinn seines Lebens zu finden. Wir würden
    uns wahrscheinlich relativ schnell einig werden, dass man so keinen
    tragfähigen Lebenssinn findet, aber täuschen wir uns nicht: mindestens
    im Alltag ziehen viele den Sinn ihres Lebens daraus. Wer ist so
    ganz gefeit dagegen, sich mit den Dingen, z. B. mit Essen eine Zeitlang
    wenigstens abzulenken von der bohrenden Frage, wozu das Ganze eigentlich
    gut ist? So wie der Mann in der Szene vorhin sich mit Eis abgelenkt
    hat von den Fragen in der Nacht. Und so kann man sich mit vielem
    ablenken, damit man sich der Frage nicht stellen muss, ob da nicht
    noch mehr ist? Mit Arbeit und Geschäftigkeit kann man das tun, mit
    Kaufen und mit Vergnügungen, mit Medienkonsum und mit Suchtverhalten.
    Aber ich muss wohl nicht erklären, weshalb diese Dinge keinen Lebenssinn
    geben können. „Mein Lebenssinn ist Essen“ – selbst wenn es stimmt,
    sagen würde das keiner.
  • Wenn wir weiter überlegen, dann würden wir wahrscheinlich auf
    Dinge kommen, die schon etwas mehr Antworten auf die Sinnfrage geben
    können: alles, was auf gleicher Ebene mit uns ist – nämlich alles,
    was mit zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun hat. Die Liebe in
    ihren schönsten Augenblicken lässt Menschen immer wieder sagen:
    das ist der Sinn meines Lebens, mit einem geliebten Menschen zusammenzusein,
    uns aneinander zu freuen – das bleibt ewig. Und nach ein paar Jahren
    sagt man dann eher: meine Familie ist der Sinn meines Lebens. Dass
    ich Kinder und Enkel habe, die gedeihen und was geworden sind, so
    würden viele Menschen den Sinn ihres Lebens beschreiben. Und Gott
    hat uns ja als Wesen geschaffen, die ganz stark in Beziehungen leben,
    und für die Beziehungen äußerst wichtig sind.

    Aber wir wissen natürlich auch, dass Beziehungen immer auch etwas
    Unsicheres sind. Menschen können uns enttäuschen, Menschen sterben,
    Menschen können uns verlassen, und so schön viele Begegnungen mit
    Menschen sind, so schmerzlich können sie aber auf der anderen Seite
    auch sein. Deswegen ist es mindestens eine unsichere Sache, den
    Sinn des Lebens so an Menschen festzumachen. Und wie viele ergreifen
    auch die Flucht, weil sie das Gefühl haben: diese Erwartungen sind
    einfach zu hoch, ich kann nicht für einen anderen der Lebenssinn
    sein, hat mich eigentlich einer gefragt, ob ich das sein will?

  • Der dritte Bereich, in dem Menschen den Sinn ihres Lebens suchen,
    ist der Bereich der Aufgaben. Das sind die Dinge, die über uns sind,
    die größer sind als wir. Etwas zu schaffen, etwas Gutes zu erreichen,
    sich für ein gesellschaftliches Ziel einzusetzen, sich ein berufliches
    Ziel zu stecken und dafür zu arbeiten, das sind Dinge, die uns über
    lange Strecken unseres Lebens mit Befriedigung erfüllen können.
    Da verankern wir uns in etwas, das größer ist als wir selbst, wir
    sind gefordert, wir freuen uns und leiden und lernen, und Gott hat
    uns ja dafür geschaffen, dass wir nicht für uns selbst leben, sondern
    uns mit etwas Größerem verbinden.

Trotzdem gibt es genügend Menschen, die irgendwann zurückschauen
und sagen: da habe ich jetzt soviel Kraft und Zeit investiert, habe
gearbeitet und meine Familie vernachlässigt, habe eine berufliche
Aufgabe angepackt oder mich gesellschaftlich engagiert, und was
habe ich davon? Wer dankt es mir? Wer denkt noch an mich, wenn ich
nicht mehr leistungsfähig bin? Kann ich das mal mit ins Grab nehmen?
Und auch wenn ich viel geschafft habe, hat das wirklich die bohrende
Frage beantworten können, wozu ich da bin und warum das Leben wichtig
ist?

Ich glaube, wir haben jetzt so ziemlich alles abgedeckt, wo Menschen
den Sinn ihres Lebens suchen: unter uns bei den Dingen, neben uns
in den Beziehungen, über uns in den Aufgaben – aber so wichtig alle
diese Bereiche sind, sie können uns nicht wirklich sagen, wozu wir
da sind. „Und wenn das nicht reicht?“ hat der Mann in der Anfangsszene
gefragt, „was, wenn es noch etwas gibt?“

All die guten Dinge, Menschen und Aufgaben bekommen ihren eigenen
Sinn erst, wenn sie an den richtigen Platz gestellt werden. Sie
gehören nicht ins Zentrum unseres Lebens, weil der Platz dort für
Gott reserviert ist. Erst von dieser stabilen Beziehung zu Gott
her bekommt all das andere seinen Platz. All die anderen Dinge taugen
zur Freude und Bereicherung, zur Herausforderung, zum Lernen und
Wachsen – aber sie haben ihre Grenzen, sie haben irgendwann ein
Ende. Sie taugen nicht als Sinn des Lebens, aber als Geschenke aus
der Hand Gottes sollen wir sie fröhlich entgegennehmen. Wir sollen
die Dinge genießen, wir sollen die Menschen lieben, wir sollen uns
von Aufgaben herausfordern lassen, aber wir sollen zuerst und zuletzt
auf Gott hören und für ihn begeistert sein und ihm Platz einräumen
in unserem Leben.