Das Wort zum Essen

Predigt am 1. Oktober 2006 (Erntedankfest) zu 1. Timotheus 4,4-5

4 Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; 5 denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.

Wenn man die Welt mit Gott zusammen sieht, dann wird das Bild erst vollständig. Heute üben wir das, wenn wir die Erntegaben hier in die Kirche bringen. Damit wird etwas sichtbar: diese Kartoffeln und dieser Kürbis und diese Blumen sind nicht nur das, was man vor sich sieht, sondern sie haben in sich eine verborgene Botschaft: Gott will uns etwas Gutes tun. Das wird heute aus der Verborgenheit herausgeholt und sichtbar.

Erntedank hat man schon ganz lange gefeiert. Im alten Israel gab es schon Hinweise, wie das ablaufen sollte. Man findet da unter anderem folgende Bestimmung (5. Mose 14,22-27): man sollte ein Zehntel seiner Ernte und die Erstgeborenen des Viehs für Gott reservieren, dann damit zum Heiligtum kommen und dort damit ein richtig tolles Fest machen. Wörtlich heißt es:

26 Nimm alles, woran dein Herz Freude hat, Rinder, Schafe, Wein, Bier, oder was dir sonst schmeckt, und feiere damit mit deiner Familie in der Gegenwart Gottes, sei fröhlich und lade auch die ein, die keine solche Ernte haben.

Ist das nicht eine raffinierte Regelung? Erst bringt man Gott das alles, und er – er nimmt es und lädt die Menschen ein, auf seine Kosten ein tolles Fest zu feiern! Und damit erlebten die Menschen ganz praktisch zwei Dinge:

Alles gehört Gott – und zum Zeichen dafür bringen wir ihm den zehnten Teil davon. Und wenn wir es dann von ihm zurückbekommen, lernen wir, dass alle guten Gaben ein Geschenk Gottes an uns sind.

Man lernt also bei diesem Fest an einem Teil, was für alles gilt: Gott hat die Welt gemacht als Geschenk für uns, als etwas, was uns Freude machen soll, als einen Grund zum Feiern.

Natürlich wussten sie auch damals, dass wir nicht mehr im Paradies leben. Wir haben ja neulich im Konfirmandenunterricht so einen Paradiesgarten gebastelt, aber wir werden auch noch hören, warum es heute anders geworden ist. Und sie erlebten auch damals, dass es gefährliche Löwen gibt, Dürre und Missernte, Nieselregen und Krankheiten. Wenn man die schönen Früchte vor sich sieht oder wenn herrliches Sommerwetter ist, dann klingt das gut, »es ist alles eine gute Gabe Gottes«. Aber wenn man einen ganzen heißen Tag lang mit dem Traktor auf dem Feld arbeitet, oder wenn die Früchte verhagelt sind, oder wenn man mit kalten, nassen Füßen durch den Novemberregen laufen muss, dann kommt einem das wahrscheinlich nicht spontan in den Sinn. Dann muss sich erst in unserem Kopf etwas drehen, bevor wir das glauben. Und deswegen feierten sie damals ein tolles Fest auf Gottes Kosten, weil bei solchen außergewöhnlichen Ereignissen in unserem Kopf etwas passiert. Und diese kurzen Verse, die Paulus im 1. Timotheusbrief geschrieben hat, beschreiben die Arbeit in unserem Kopf, die dafür nötig ist, so: alles wird geheiligt durch das Wort Gottes und durch Gebet.

Das heißt: zu den reinen Lebensmitteln muss noch die Deutung dazukommen, damit wir ihre Botschaft entschlüsseln können. Gott schickt sein Wort mit, er schickt seine Erklärung mit, damit wir verstehen, was er sich dabei gedacht hat. Ich erkläre mal an einem Beispiel, was ich mit Deutung und Kommentar meine:

Auf Konfirmandenfreizeiten fürchte ich immer, dass irgendwer beim Essen plötzlich schreit: iih, das ist ja eklig! Zum Glück passiert das sehr selten. Aber wenn das einer mal anfängt, dann trauen sich viele gar nicht mehr richtig weiterzuessen. Das ist auch ein Kommentar, ein Wort zum Essen, aber eben nicht: das ist eine gute Gabe! Oder wer mal bei einer Hamburger-Kette isst, der merkt, wie sie sich da alle Mühe geben, darauf hinzuweisen, dass die Hamburger gesund sind, aus prima frischen Zutaten. Denn wenn die Leute anfangen zu glauben, dass das irgendwas Minderwertiges ist, dann kommen sie nicht mehr. Auch wieder: ein Wort zum Essen. Und wie es uns schmeckt, das hängt immer entscheidend von dem Wort zum Essen ab.

Aber das ist nicht nur mit dem Essen so: das gilt für alles, für die ganze Welt. Wie sie uns schmeckt und bekommt, das hängt von dem Wort dazu ab, von der Bedeutung, die sie in unserem Kopf bekommt. Darum heißt es in der Bibel: alles, was Gott geschaffen hat, ist gut. Gott wollte seine Freude mit uns teilen, so wie wir ja auch, wenn wir uns sehr freuen, das gerne mit anderen teilen. Gott wollte jemanden haben, dem er tolle Sachen schenken kann, dem er abgeben kann vom Leben, dieses Wunder des Lebendigseins, das wollte er mit uns teilen. Er hätte es nicht gemusst, aber er will es.

Wir schauen die Welt an und sagen: dies ist gut und jenes ist schlecht, und das hat schon seinen Grund, weil ja wirklich viel durcheinandergekommen ist. Aber zunächst einmal ist es einfach gut, dass da überhaupt etwas ist. Die Welt ist keine neutrale Bühne, auf der dann ein mehr oder weniger gutes Stück gespielt wird, sondern in die Welt ist Gottes Handschrift eingraviert, sie ist in ihrem Kern von Gottes Güte und seinem Reichtum geprägt. Gott schaut es alles an und erkennt immer noch die Welt, die er geschaffen hat. Und er hält sie fest. Auch die ganz schweren und traurigen Dinge haben immer noch eine Hoffnung, wenn sie mit Gott zusammengebracht werden. Menschen können auch in Schmerz, Leid, Einsamkeit und Unglück Anteil an der Freude Gottes bekommen, wenn Gott mitten hinein kommt und wir merken, dass wir trotz allem in seiner großen Geschichte drin sind. Das gibt einen Überschwang der Seele, weil Gott da ist und die Dinge nicht so lässt wie sie sind.

Wenn wir das verstanden haben, dann können wir anders auch in den schweren Zeiten des Lebens leben. Wir wissen ja: Gott kümmert sich aktiv um uns und ist schon längst dabei, die zerstörte Verbindung wieder herzustellen. Nichts ist so zerstört und so durcheinander gebracht, dass die Handschrift Gottes nicht mehr zu erkennen ware und dass es keine Hoffnung mehr gäbe.

Die ganzen Schöpfungsgeschichten in der Bibel, die sagen uns etwas über die Art, wie unsere Welt beschaffen ist und wie man in ihr leben kann. Es gibt ja diesen Streit, wo die einen sagen: genau so, wie es in der Bibel steht, so ist die Welt entstanden, und andere sagen: das kann ich nicht glauben, mit den sieben Tagen, und das kann doch nicht so gewesen sein. Aber das ist gar nicht der Punkt: die Schöpfungsgeschichten sagen etwas darüber, wie man die Welt sehen und mit ihr umgehen soll. Unser Leben ist kein Zufallsprodukt, das halt irgendwie so gekommen ist, sondern alles ist eine Botschaft, ein Liebesbrief, ein Signal, das Gott uns gibt, damit wir seine Güte verstehen.

Und wenn wir für unser Leben und für die Welt und für unsere Lebensmittel dankbar sind, dann haben wir das instinktiv verstanden. Dem Zufall kann man nicht dankbar sein, zum sogenannten Schicksal kann man nicht sprechen, tote Materie hat keine Bedeutung, aber wir spüren instinktiv, dass hinter der ganzen Welt jemand steht, an den wir uns wenden können. Und wenn einer nur in einem besonders beeindruckenden Moment »o Gott« sagt.

Dank ist die Empfangsbestätigung, unsere Unterschrift: »ja, wir haben es verstanden«, »es ist angekommen«. Gott hat uns eine Botschaft geschickt, wir haben sie entziffert, und jetzt antworten wir und sagen: Danke für alles, was es gibt. Danke dafür, dass ich leben kann. Danke, dass ich genug habe. Danke für meine Lebenszeit, für jeden Tag, danke, dass ich das Licht sehen kann und frische Luft zum Atmen habe, danke für alles, was schön anzusehen ist und gut riecht und gut schmeckt, danke, dass es alles so gut zusammenpasst. Danke für die Menschen, die mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass ich Tag für Tag leben kann, danke für die großen und kleinen Zusammenhänge, durch die ich versorgt werde, danke für die Menschen, die mir nahe stehen, und danke, dass du mich gewollt hast und alles, was zu mir gehört. So schließt sich der Kreislauf, und wir geben Gott die Antwort auf die Botschaft, die in allem verborgen ist.

Wenn dieser Kreislauf funktioniert, dann werden wir selbst damit fröhlicher und zufriedener. Dann fangen wir auch an zu glauben, dass wir selbst eine gelungene Schöpfung Gottes sind. Wir fangen an zu glauben, dass wir einzigartig sind, ein Meisterwerk, und dass wir der Welt etwas zu geben haben, das Gott nur in uns hineingelegt hat und in niemand anders. Wir fangen an zu verstehen, dass wir eine einmalige Rolle spielen in der großen Geschichte, die Gott begonnen hat, eine Rolle, in der uns niemand vertreten kann. Ohne unseren Beitrag würde der Welt etwas Entscheidendes fehlen. Das muss uns nicht eingebildet machen, wir müssen auch nicht darum kämpfen, dass das anerkannt wird, sondern wir können leben aus der ruhigen Sicherheit, dass Gott, als er uns ins Leben rief, auch zu uns gesagt hat: sehr gut! Du bist mir gelungen, ich freue mich an dir, und ich hoffe so sehr, dass du es auch tust!

Viele Menschen haben es schwer, das zu glauben, weil sie sich selbst gar nicht so toll finden. Aber zu den guten Gaben Gottes gehören wirklich auch wir selbst, ob alt oder jung, dick oder dünn, gesund oder krank, und wie alles andere kommen wir dann in Ordnung, wenn wir mit Gott zusammengebracht werden, wenn er in unserem Leben mit dabei ist und sich der Kreislauf schließt, wenn wir seinen Kommentar zu uns hören und ihm recht geben: alles, was Gott geschaffen hat, ist gut.