Wege zur Gemeindeentwicklung

Predigt am 1. September 2002 zu 1. Thessalonicher 5,12-24

12 Brüder und Schwestern, wir bitten euch: Erkennt die an, die sich für euch abmühen und in der Gemeinde des Herrn Verantwortung übernehmen, um euch den rechten Weg zu zeigen. 13 Wegen des Dienstes, den sie an euch tun, sollt ihr ihnen mit Hochachtung und Liebe begegnen. Lebt in Frieden und Eintracht miteinander!
14 Wir bitten euch weiter, liebe Brüder und Schwestern: Weist die zurecht, die ein ungeregeltes Leben führen. Ermutigt die Ängstlichen. Helft den Schwachen und habt Geduld mit allen.
15 Achtet darauf, daß niemand von euch Böses mit Bösem heimzahlt. Bemüht euch vielmehr stets, das Gute zu tun, im Umgang miteinander und mit allen Menschen. 16 Freut euch immerzu! 17 Laßt nicht nach im Beten! 18 Dankt Gott in jeder Lebenslage! Das will Gott von euch als Menschen, die mit Jesus Christus verbunden sind.
19 Unterdrückt nicht das Wirken des Heiligen Geistes. 20 Verachtet nicht die Weisungen, die er euch gibt. 21 Prüft aber alles, und nehmt nur an, was gut ist. 22 Von jeder Art des Bösen haltet euch fern!
23 Gott selbst aber, der uns seinen Frieden schenkt, vollende euch als sein heiliges Volk und bewahre euch im Innersten unversehrt, fehlerlos an Seele und Leib, für den Tag, an dem Jesus Christus, unser Herr, kommt. 24 Gott ist treu, der euch berufen hat; er wird euch auch vollenden.

Am Ende des 1. Thessalonicherbriefes redet Paulus davon, dass es nicht selbstverständlich ist, dass jemand, der zum Glauben gefunden hat, auch heil in der Ewigkeit Gottes ankommt. Die Glaubensentscheidung muss sich ja bewähren, und der Glaube soll lebendig bleiben, und sich im Leben der Gemeinde und des Einzelnen widerspiegeln. Und deshalb hat Gott uns Instrumente gegeben, wunderbare und z.T. einmalige Instrumente, damit Menschen nicht herausfallen aus der lebendigen Beziehung zu Jesus.

Vier Wege, wie Gott Menschen in der Gemeinde hilft, bei ihrem geistlichen Weg zu bleiben, beschreibt Paulus: die Leitung, die gegenseitige Seelsorge, die Orientierung am Guten und offene Wege für den Heiligen Geist.

1. Die Leitung

12 … Erkennt die an, die sich für euch abmühen und in der Gemeinde des Herrn Verantwortung übernehmen, um euch den rechten Weg zu zeigen. 13 Wegen des Dienstes, den sie an euch tun, sollt ihr ihnen mit Hochachtung und Liebe begegnen.

Leitung ist in jeder menschlichen Gruppe von zentraler Bedeutung. Wörtlich steht da: es sind die Leute, die euch »vorstehen«, also die »vorne stehen«. Und man hat tatsächlich herausgefunden, dass diejenigen, auf die eine Gruppe ganz äußerlich schaut, auch ihre Stimmung und psychische Verfassung auf die Gruppe übertragen. Und die Inhalte, die sie vertreten, natürlich auch. Deswegen ist Leitung überall eine zentrale und wichtige Funktion, um eine Gruppe in eine – möglichst gute – Übereinstimmung zu bringen.

Deswegen spricht Paulus deutlich zugunsten der lokalen Leiterschaft in Thessalonich, er bricht eine Lanze für sie. Es muss in jeder Gemeinde Menschen geben, die sich für das geistliche Wohlergehen und Wachstum anderer verantwortlich fühlen. Es kann sein, dass es ganz tolle Leiter sind, es kann auch sein, dass sie nur mit Ach und Krach ihrer Aufgabe nachkommen. Wichtig ist aber in jedem Fall, dass die Aufgabe wahrgenommen wird. Das gilt für einen Hauskreis genauso wie für eine ganze Gemeinde. Wenn es niemanden gibt, der sich Gedanken macht, wie Menschen in ihrer Erkenntnis und in ihrer Verbundenheit mit Gott wachsen, dann wird dieses Wachstum sehr viel geringer ausfallen. Deswegen braucht eine Gemeinde Leiter und Leitungsgremien, die das Klima in der Gemeinde beeinflussen und es sich zur Aufgabe machen, das Wachstum der Menschen zu fördern und überhaupt erst einmal einzuschätzen, wie es um die einzelnen Menschen steht.

Der Haken daran ist: nicht jeder mag das. Es gibt Menschen, die fühlen sich dann angegriffen und bevormundet. Manche erinnert das an ihre Eltern, von denen sie sich gegängelt und eingeschränkt fühlten. Und all die oft widersprüchlichen Gefühle, die wir zu unseren Eltern haben, die bekommen dann auch die Leiter zu spüren. Und es gibt Leiter, die machen ihre Aufgabe auch tatsächlich nicht gut, immer oder manchmal. Wir alle wissen: wenn Menschen sich ein Urteil über Menschen bilden sollen, da gibt es viele Quellen des Konflikts.

Deswegen würden manche gerne sagen: wir können uns doch kein Urteil über andere erlauben! Hat denn nicht Jesus gesagt: richtet nicht!? Aber Jesus ging es darum, dass wir nicht verurteilen und abwerten. Gegen eine Diagnose hat er nichts. Im Gegenteil, von Jesus heißt es, dass er genau wusste, was im Herzen von Menschen war. Er hatte ein sicheres Urteil. Und auch wenn wir nicht so gut sind wie Jesus, so ist es doch auch unsere Aufgabe, Menschen einzuschätzen, für die wir verantwortlich sind.

Damit kommen wir zum zweiten Instrument, durch das wir bei Jesus gehalten werden, und das besteht darin, dass die ganze Gemeinde im Laufe der Zeit lernt, Menschen einzuschätzen und richtig zu behandeln. Da geht vieles von dem, was anfangs vor allem Aufgabe der Leiter ist, im Lauf der Zeit auf die ganze Gemeinde über.

2. Gegenseitige Seelsorge

14 … Weist die zurecht, die ein ungeregeltes Leben führen. Ermutigt die Ängstlichen. Helft den Schwachen und habt Geduld mit allen.

Es gibt sie in jeder Gemeinde: die Problemfälle aller Art. Und auch hier steht am Anfang die Diagnose: ist da jemand unordentlich, eingeschüchtert oder schwach?

Unordentlich, das sind die Leute, die sich nie aufgerafft haben, ihr Leben zu ordnen und eine Struktur reinzubringen. Unordnung gibt es auf hohem oder tiefem Niveau. Sie kann sich zeigen in einer Wohnung, in der lauter Krempel rumliegt. Aber Krempel kann sich auch gut verborgen hinter Schranktüren finden. Unordnung kann sich zeigen in Schulden, die nicht weniger werden, weil immer neues gekauft wird. Sie kann sich niederschlagen in ungeklärten Beziehungen und Familienverhältnissen. Unordentliche Menschen wären froh, wenn sie in der Gemeinde Leute finden, die sie vor den Folgen ihres Lebensstils bewahren, die ihnen mit Rat und Hilfe und Geld aus der Patsche helfen. Und das ist ja auch zunächst das Naheliegende. Aber es heißt: ihr sollt sie zurechtweisen. So etwas dürft ihr in der Gemeinde nicht durchgehen lassen.

Kleinmütig oder eingeschüchtert sind die Leute, denen man das Selbstwertgefühl ausgetrieben hat, die sich dafür entschuldigen, dass es sie gibt und keine großen Hoffnungen für ihr Leben haben. Die sollen ermutigt werden.

Schwach sind diejenigen, die nie ohne fremde Hilfe auskommen werden, die nicht die Möglichkeiten haben, ihr Leben selbst zu regeln, die immer auf einen festen Rahmen angewiesen sein werden, den andere setzen, weil ihnen selbst der Durchblick oder die Kraft fehlt. Die muss man einfach tragen und ertragen.

Unordentlich, kleinmütig oder schwach – als was würden Sie lieber gelten? Ich glaube, ich würden dann immer noch lieber als kleinmütig und eingeschüchtert eingeordnet werden wollen, aber nicht als unordentlich oder als schwach und ohne Durchblick.

Aber die Gemeinde muss eine Diagnose stellen: denn wenn wir einen unordentlichen Menschen so behandeln, als ob er schwach ist, dann ersparen wir es ihm, Disziplin zu entwickeln und sein Leben endlich nach Gottes Willen zu ordnen. Wenn wir einen Menschen, der nicht den Durchblick hat, um sein Leben zu regeln, als eingeschüchtert ansehen und ihm Selbstbewusstsein einflößen, dann fängt er an, sich zu überschätzen und nimmt den Rat und die Hilfe nicht mehr an, die er dringend braucht. Wenn wir einen entmutigten, eingeschüchterten Menschen wie einen schwachen behandeln, dann traut er sich am Ende gar nichts mehr zu und wird wirklich schwach.

Da soll die Gemeinde ein gutes Gespür entwickeln, damit jeder das bekommt, was ihm hilft. Aber dazu muss man in der Lage sein, so etwas einzuschätzen, und deshalb kommt als nächstes etwas, was dafür ganz entscheidend ist, nämlich:

3. Orientierung am Guten

15 Achtet darauf, dass niemand von euch Böses mit Bösem heimzahlt. Bemüht euch vielmehr stets, das Gute zu tun, im Umgang miteinander und mit allen Menschen. 16 Freut euch immerzu! 17 Lasst nicht nach im Beten! 18 Dankt Gott in jeder Lebenslage! Das will Gott von euch als Menschen, die mit Jesus Christus verbunden sind.

Die Gemeinde wird immer viel zu tun haben mit Menschen und Situationen, wo das Böse stark war. Menschen, die vom Bösen geschädigt sind und es jetzt auch in sich selbst tragen, oder Menschen, die gelernt haben, das, was ihnen angetan worden ist, auch anderen anzutun. Das war ja schon bei Jesus so, dass es die verletzten und zerstörten Menschen zu ihm zog. Und sie sind auch in der Gemeinde willkommen. Aber ihnen ist es nicht erlaubt, ihren bisherigen Verhaltensstil auch in die Gemeinde mitzubringen.

Wer bisher gesagt hat: weil der so böse zu mir war, deshalb musste ich ihn jetzt schlecht behandeln, der soll lernen, dass es in der Gemeinde Jesus anders zugeht. Wir leben aus dem Positiven, unser Leben ist eine Reaktion auf die Liebe Gottes und nicht auf die bösen Taten von Menschen. In der Gemeinde Jesu kommt man aus dem Reagieren heraus, wir leben aktiv von Jesus her und nicht im Bannkreis des Bösen. Deshalb ist das Danken und die Freude so wichtig. Wir sollen in jeder Lebenslage, auch in Schwierigkeiten, uns anschließen an die Wirklichkeit Gottes, sie soll unser Herz bestimmen.

Natürlich sollen wir kein Theater vorspielen und unechte Freude produzieren, aber wir sollen lernen, ein dankbares Herz zu bekommen. Ein dankbares Herz ist auch nicht so leicht beleidigt. Ein dankbares Herz ist einer der wichtigsten Wege zu seelischer Gesundheit. Wie bekommt man ein dankbares Herz? Einfach indem man dankt: für den Tag, für die Lebenszeit, für das Licht und für die Luft, dafür, dass wir genug zum Leben haben, für die Menschen, die zu uns gehören, all diese ganz elementaren Dinge. Wir sollen uns zur Gewohnheit machen, immer wieder, täglich, dafür zu danken.

Aber damit all das bisherige auch funktioniert, muss Gott uns mit seinem Heiligen Geist immer wieder auf die Spur setzen, und dazu muss er Gelegenheit bekommen. Deshalb:

4. Leben aus der Kraft des Heiligen Geistes

19 Unterdrückt nicht das Wirken des Heiligen Geistes. 20 Verachtet nicht die Weisungen, die er euch gibt. 21 Prüft aber alles, und nehmt nur an, was gut ist. 22 Von jeder Art des Bösen haltet euch fern!

In diesen Worten steht etwas Sensationelles: Gottes Geist kann unterdrückt werden, wörtlich: er kann ausgelöscht werden wie ein Feuer. Wenn man daran denkt, dass im Alten Testament Gott auch als Feuer beschrieben wird, aber als verzehrendes Feuer, vor dem man sich in Acht nehmen muss und das kein Mensch ertragen kann, dann merkt man den Unterschied. Gottes Geist kann abgelehnt werden. Es ist jetzt der Geist des gekreuzigten Jesus. So wie Menschen Jesus abgelehnt haben, so können sie auch seinen Geist ablehnen. Er wird nie Menschen überwältigen oder so unter Druck setzen, wie es das Böse manchmal mit uns macht.

Wir vertreiben den Heiligen Geist auch, wenn wir ihn zwar nicht ablehnen, ihm aber keinen Raum geben in der Gemeinde. Das andere Extrem ist genauso schädlich: wenn jeder spontane Impuls gleich als Wirkung des Heiligen Geistes gilt. Das sind zwei Extreme, die gut zueinander passen und sich gegenseitig hochschaukeln: wenn Leute mal schlechte Erfahrungen gemacht haben mit angeblich prophetischen Worten, die doch nur aus Menschen kamen, die andere im Namen Gottes beherrschten, dann werden sie generell misstrauisch gegenüber dem Heiligen Geist. Wenn der Teufel eine gute Sache nicht direkt zerstören kann, dann bringt er Leute dazu, es mit ihr zu übertreiben, und am Ende ist der Effekt der gleiche.

Dagegen nennt Paulus ein völlig simples Rezept, aber es ist leider nicht selbstverständlich. Er sagt: prüft! Was du da durch Menschen hörst, das kann von Gott sein, es kann auch aus dem menschlichen Fleisch kommen, es kann sogar vom Bösen kommen. Natürlich. Auch der Feind kann prophetisch reden und wir alle stehen sowieso immer in Gefahr, unsere starken Überzeugungen als Gottes Willen auszugeben. Also: prüft! Und was euch nicht überzeugt und was nicht dazu passt, wie ihr Gott sonst kennt, das lasst eben unter den Tisch fallen. Jeder, der wirklich an der Wahrheit interessiert ist, wird dafür Verständnis haben. Prüft nach bestem Wissen und Gewissen und tut am Ende das, wovon ihr überzeugt seid. Vielleicht werdet ihr nicht immer richtig liegen, aber eine Trefferquote von 75 oder 85 % ist doch auch ganz gut. Und wenn man sich getäuscht hat, dann kann man auch daraus lernen. Immer noch besser als als auf den Rat des Heiligen Geistes ganz zu verzichten.

Wir brauchen den Heiligen Geist unbedingt, weil wir sonst menschlicher Weisheit und menschlicher Torheit ausgeliefert sind. Und wir sollen lernen, seine Stimme immer besser zu verstehen, sie herauszuhören aus den vielen menschlichen Stimmen, damit wir nicht wie ein Rohr im Wind sind, sondern eine Gemeinde, die ein klares Urteil hat.

Wenn man das alles so hört, dann kann man auf den Gedanken kommen, zu sagen: ganz schön schwierig ist das mit dem Christsein! Aber Paulus erinnert an ein großes Plus: die Gemeinde ist Gottes eigene Sache. Er treibt ihren Bau und ihre Reifung voran. Es ist nicht so, dass wir ihn mühsam überreden müssten: Ach, Herr, bitte schenk unserer Gemeinde doch mal einen kleinen Moment deine Aufmerksamkeit! Die Gemeinde hat immer Gottes ganze Aufmerksamkeit, und auch wenn dort keiner nach ihm fragt, auch dann arbeitet er daran, sie zu einem Platz zu machen, wo er zu finden ist. Gott kann auch eine heruntergekommene Gemeinde, in der schon lange nicht mehr nach seinem Willen gefragt worden ist, zu einer Wohnung für seine Herrlichkeit machen. Er gibt nicht auf, er ist hartnäckig und bleibt dran:

24 Gott ist treu, der euch berufen hat; er wird euch auch vollenden.