Wem gehört Weihnachten?

Predigt im Besonderen Gottesdienst am 9. Dezember 2001 (2. Advent) zu 1. Samuel 1,1-11

Diese Predigt greift auch die anderen Teile des Besonderen Gottesdienstes auf: Weihnachtserinnerungen von Gemeindegliedern und die Szene »Das Weihnachtsinterview«.

Haben Sie eben gemerkt, was sich in den Berichten von Weihnachten durchhält? Was da mit unterschiedlichem Schwerpunkt immer wieder vorkommt? Einmal die Familie, und dann der Gottesdienst. Und ich denke, dass zu Festen fast immer beides dazugehört: eine Feier im kleinen Kreis der Menschen, zu denen man gehört einerseits, und eine öffentliche Feier oder Veranstaltung andererseits. Einerseits braucht eine kleine Gruppe für das, was sie feiert, den öffentlichen Rückhalt, sonst würde sie das nicht lange durchhalten können. Stellen Sie sich vor, Sie würden für Ihre Familie beschließen, dass Sie jetzt jeden Monat ein Vollmondfest feiern — ich glaube, das würden Sie nach ein paar Monaten aufgeben, einfach weil Ihnen das zu doof vorkäme, wenn nicht auch andere mitmachen.

Andererseits erreichen öffentliche Feiern nur dann die Menschen wirklich, wenn sie auch in der privaten Lebenswelt vorkommen. Z.B. wird Rosenmontag erst dann ein richtiges Fest, wenn man nicht nur im Fernsehen einen Rosenmontagszug anguckt, sondern wenn man auch selbst zu einer Rosenmontagsparty geht, in der Schule oder bei Freunden oder irgendwo anders.

Bei einem richtigen Fest verbinden sich also die öffentliche und die private Feier. Das kann man schon im Alten Testament gut sehen. Auch da kam in den Festen Israels beides zusammen, mit allem, was dazugehört. Ich lese ein Stück aus dem 1. Buch Samuel vor:

1 In Ramatajim im Gebiet der Sippe Zuf im Bergland von Efraïm lebte ein Mann namens Elkana. Sein Vater hieß Jeroham, sein Großvater Elihu und sein Urgroßvater Tohu; der war ein Sohn des Efraïmiters Zuf. 2 Elkana hatte zwei Frauen, Hanna und Peninna. Peninna hatte Kinder, aber Hanna war kinderlos.

3 Elkana ging einmal in jedem Jahr mit seiner Familie nach Schilo, um zum HERRN, dem Herrscher der Welt, zu beten und ihm ein Opfer darzubringen. In Schilo versahen Hofni und Pinhas, die beiden Söhne von Eli, den Priesterdienst. 4 Beim Opfermahl gab Elkana seiner Frau Peninna und allen ihren Söhnen und Töchtern je einen Anteil vom Opferfleisch; 5 Hanna aber bekam ein Extrastück, denn er liebte sie, obwohl der HERR ihr Kinder versagt hatte.

6 Darauf begann Peninna regelmäßig zu sticheln und suchte Hanna wegen ihrer Kinderlosigkeit zu kränken. 7 Das wiederholte sich jedes Jahr, wenn sie zum Heiligtum des HERRN gingen: Peninna kränkte Hanna so sehr, dass sie weinte und nichts essen konnte. 8 Elkana fragte sie dann: »Hanna, warum weinst du? Warum isst du nichts? Was bedrückt dich? Hast du an mir nicht mehr als an zehn Söhnen?«

9 Wieder einmal war es so geschehen. Als sie gegessen und getrunken hatten, stand Hanna auf und ging zum Eingang des Heiligtums.

Kennen Sie das? Regelmäßig zum Fest gibt es Familienkrach. Eine stichelt, eine ist beleidigt, einer versteht die ganze Aufregung nicht, eine läuft weinend raus. Bei einem Fest wird man damit konfrontiert, wie es denn in der Familie oder Gruppe aussieht, mit der ich feiere. Im Alltag überdeckt man das eher, da kann man sich auch mal aus dem Weg gehen, bei einem Fest melden sich die Probleme wieder. Andersherum: alle versuchen, bei einem Fest die Konflikte unter dem Teppich zu halten, weil sonst unübersehbar wäre, was wirklich los ist. Und es braucht manchmal viel Kraft, damit es nicht zu so einer Szene kommt wie zwischen den beiden Frauen Elkanas.

Auch Elkana versucht es ja mit unter-den-Teppich-Kehren: »Hanna, nimm’s nicht so schwer, du hast doch mich!« Aber das hilft der Hanna wenig, wenn ihre Konkurrentin wieder zu sticheln anfängt, und der eifersüchtigen Peninna hilft es auch nicht, wo sie doch spürt, dass sie trotz all ihrer Kinder nicht das Herz ihres Mannes hat.

Hanna hält das alles nicht mehr aus und läuft weg. Wunderbar! Denn sie läuft zu Gott. Das ist die große Chance eines Festes: wenn da jemand deutlicher als sonst merkt, was eigentlich los ist, dann kann er damit zu Gott gehen und es endlich vor Gott bringen. Gott hat ja keine Probleme mit den dunklen Seiten in uns und mit den dunklen Beziehungen zwischen uns. Aber er hat Probleme mit der glatten, selbstbeherrschten Fassade, hinter der das alles oft versteckt ist. Und wenn der Krach beim Fest dazu dient, dass er endlich an das herankommt, was uns wirklich bewegt: wunderbar! Ich lese noch ein paar Verse weiter:

Neben der Tür saß der Priester Eli auf seinem Stuhl. 10 Hanna war ganz verzweifelt. Unter Tränen betete sie zum HERRN und machte ein Gelübde. Sie sagte: 11 »HERR, du Herrscher der Welt, sieh doch meine Schande und hilf mir! Vergiss mich nicht und schenk mir einen Sohn! Ich verspreche dir dafür, dass er dir sein ganzes Leben lang gehören soll; und sein Haar soll niemals geschnitten werden.«

Da leistet ein Fest genau das, wozu es da ist: da kommt endlich vor Gott, was in dieser Familie los ist, und er sorgt dafür, dass die Not behoben wird. Hanna bekommt tatsächlich einen Sohn.

So ein Fest muss ja nicht in jedem Jahr so dramatisch mit Heulen und Zähneklappern sein. Es reicht ja auch, wenn eine Familie gemeinsam vor Gott tritt und dann von ihm gesegnet wird. Dass sie sich gemeinsam an die Basis erinnert, auf der sie lebt.

Im Alten Testament gibt es genaue Anweisungen, wie die Feste Israels gefeiert werden sollen. Wieviel Tage man feiern soll und wieviel Rinder man schlachten und opfern und essen soll. Wir Christen haben das nicht, mit einer Ausnahme: für das Abendmahl hat Jesus uns genaue Anweisungen gegeben. Sonst haben die ersten Christen einfach die Feste Israels mitgefeiert. Aber das war kein Zwang und kein unbedingtes Muss. Wir haben da viel weniger vorgegeben. Weihnachten taucht ja in der Bibel gar nicht auf, sogar die Geburt Jesu wird nur in einem Evangelium ausführlich berichtet. Wie man das in ein Fest umsetzt, das muss man immer wieder neu überlegen. Übrigens, vom Alten Testament kann man lernen: essen ist immer dabei. Das gehört zum Fest. Aber das heißt ja nicht, dass es für die Hausfrau einen Großeinsatz geben muss …

Das Problem ist, dass heute die öffentlichen und die privaten Inhalte des Weihnachtsfestes oft so stark auseinander fallen. Man kann heute zum Gottesdienst gehen und anschließend zu Hause Weihnachten feiern, ohne dass auch nur einmal der Name des Geburtstagskindes Jesus erwähnt wird. Die Menschen kommen ja Weihnachten durchaus zum Gottesdienst, mit ganz erstaunlicher Beständigkeit sogar. Aber die Brücke von dort in die Familien wird schwächer. Wenn man in der Kirche und zu Hause die gleichen Weihnachtslieder singt und die Weihnachtsgeschichte vorliest, das ist so eine Brücke. Aber das ist nicht selbstverständlich.

Ja, noch mehr: während früher die öffentliche Seite des Festes eben von der Kirche betreut wurde, ist das heute nicht mehr so eindeutig. Es gibt andere öffentliche Institutionen, die das auch tun, die Medien z.B. Und natürlich alle diejenigen, die in der Weihnachtszeit etwas verkaufen wollen. Auch die interpretieren das Weihnachtsfest auf ihre Art.

Deswegen der Titel unseres Gottesdienstes: »Wem gehört Weihnachten?« Wer legt eigentlich fest, worum es bei diesem Fest geht? Passt das Christkind noch zu Weihnachten? Vor ein paar Jahren hatten wir hier einen Missionar aus Japan zu Gast, und der erzählte davon, dass sich auch in Japan das Weihnachtsfest durchsetzt. Natürlich sind die Japaner meistens keine Christen, aber mit einem Tannenbaum feiern und Geschenke machen, das machen sie auch ganz gerne. Weihnachten ohne Jesus! Das geht.

Ich denke, es hilft nichts, darüber zu klagen, sondern das kann man nur stoppen, wenn man das Weihnachtsfest als deutlich christliches Fest zurückgewinnt und gestaltet. Und gleichzeitig als ein Fest mit eigenen Traditionen, die nicht so schnell zu kommerzialisieren sind. Gerade weil uns in der Bibel nicht gesagt worden ist, dass und wie wir Weihnachten feiern sollen, deshalb ist es wichtig, dass man gut überlegt: in welchen Formen und mit welchen Bräuchen wollen wir denn feiern, dass Jesus in die Welt gekommen ist? Und wir müssen da ran, weil uns sonst wirklich dieses eigentlich christliche Fest einfach aus der Hand genommen wird. Deshalb möchte ich jetzt noch ein paar praktische Vorschläge machen, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. Es sind mit Absicht auch eher ungewohnte Ideen dabei. Sie müssen die nicht alle gut finden oder umsetzen, aber vielleicht können Sie mit der einen oder anderen etwas anfangen.

1. Vorschlag:

Machen Sie im Advent eine Familienkonferenz und sprechen Sie in Ruhe miteinander darüber, wie Sie Weihnachten feiern wollen. Wenn man sich das zusammen überlegt, ist der Vorteil auch noch, dass man klarere Vorstellungen hat und sich schon vielmehr darauf freuen kann. Vor allem aber wird dann nicht einfach alles so gemacht, wie es schon immer war, sondern man kann sich überlegen, was den Einzelnen besonders gefällt oder nicht. Vielleicht gibt es ja auch ganz neue Gedanken, was man in diesem Jahr versuchen will. Und Weihnachten wird dann wirklich ein gemeinsames Fest, das von allen getragen wird.

Es gibt ja Leute, die lieben genaue Planungen. Wenn Sie zu denen gehören, dann können Sie schon jetzt festlegen, wer am Heiligen Abend etwas vorliest oder Musik vorbereitet oder sich um Essen oder Getränke kümmert.

Eigentlich sollte man so eine Familienkonferenz am besten am 1. Advent machen, aber noch ist es nicht zu spät, Sie können das dieses Jahr noch schaffen. Es gibt auch eine schriftliche Version davon: Sie hängen ein großes Blatt Papier auf mit der Überschrift: »So stelle ich mir Weihnachten vor« auf, legen Stifte dazu, und jeder kann was draufschreiben und auch die Vorschläge der anderen kommentieren.

2. Vorschlag:

Das ist ein Brauch aus Irland: Stellen Sie schon am Anfang der Adventszeit eine leere Futterkrippe auf und füllen Sie sie allmählich mit Heu und Stroh auf. Und zwar so: jedes Mal, wenn jemand aus der Familie etwas Gutes getan hat, legt er einen Halm oder eine Handvoll Heu hinein. Das bereitet einen guten Ort für das Kommen des Jesuskindes vor.

3. Vorschlag:

Fügen Sie dem Christbaumschmuck jedes Jahr ein neues Stück hinzu, und zwar eins, das an ein wichtiges Ereignis in der Familie erinnert: an die Geburt eines Kindes oder eines Enkels, an einen Umzug oder eine neue Arbeitsstelle, an einen glücklich überstandenen großen Streit, an einen besonders schönen Urlaub oder auch an ein verstorbenes Familienmitglied. Das ist dann vielleicht kein klassischer Christbaumschmuck mehr, sondern es können andere Gegenstände sein: ein Foto, ein Spielzeug, oder eine Muschel aus dem Sommerurlaub. Der Christbaum ist ja die Erinnerung an den Baum des Lebens im Paradies, und wenn Sie ihn gemeinsam mit diesen Erinnerungsstücken schmücken, dann fügen Sie Ihr Leben bewusst ein in das Leben, das von Gott kommt. Und Sie erinnern sich immer wieder an Ihre ganz persönliche Familiengeschichte und haben nicht den Baumschmuck, den sowieso alle haben.

4. Vorschlag:

Denken Sie rechtzeitig über Musik nach. Am besten schon bei der Familienkonferenz. Musik gehört eigentlich zu Festen dazu, aber nicht in jeder Familie gibt es die Möglichkeit, einfach so spontan Musik zu machen. Wenn man da vorher Erwartungen klärt, ist es am 24 Dezember einfacher. Wenn jemandem aus der Familie die traditionellen Weihnachtslieder zum Hals raushängen: es gibt auch viele neue Weihnachtslieder in so ziemlich allen Stilen. Wenn man rechtzeitig sucht, dann sind sie auch am Heiligen Abend griffbereit. Aber wenn absehbar ist, dass selbstgesungene Musik ein Krampf würde, dann kann man auch immer noch zur Konserve greifen oder es eben auch getrost sein lassen.

5. Vorschlag:

Stellen Sie sich bewusst darauf ein, dass der Dezember der kürzeste Arbeitsmonat des Jahres ist. Haben Sie sich das schon mal klargemacht? Im Dezember gibt es eigentlich nur drei Arbeitswochen, und da muss nicht nur alles geschafft werden, was man sonst in einem Monat in vier Wochen schafft. Da stehen außerdem jede Menge Jahresabschlussarbeiten auf dem Programm, und alle versuchen noch, schnell das Liegengebliebene im alten Jahr fertig zu kriegen. Auch ganz unabhängig vom Weihnachtsfest. Also sehen Sie zu, dass Sie wirklich nur die nötigen Sachen tun. Lassen Sie bewusst Dinge ausfallen. Sie haben wirklich schon genug zu erledigen in den drei Arbeitswochen des Dezember. Und belasten Sie auch andere möglichst wenig mit Anforderungen kurz vor Toresschluss.

6. und letzter Vorschlag:

Lassen Sie »Friede auf Erden« konkret werden. Wir erfahren von den Geschehnissen in der Welt meist nur winzige Ausschnitte, und dann auch immer nur die ewig gleichen. Bemühen Sie sich doch mal um Weltnachrichten aus erster Hand. Vereinbaren Sie Anfang Dezember, dass jedes Familienmitglied einen Menschen aus einem anderen Land um einen Brief bitten soll. Je weiter weg, um so besser. Zur Not reicht aber auch Bayern. Über das Internet lassen sich solche Kontakte manchmal verblüffend einfach organisieren. Oder aktivieren Sie Verwandte oder alte Bekannte in Übersee. Fast jeder hat da irgendwelche Beziehungen. Toll ist es natürlich, wenn das bewusste Christen sind. Und lesen Sie sich die Briefe am Weihnachtsabend gegenseitig vor. So bekommen Sie ihren ganz individuellen und authentischen Eindruck von der Welt, in die Jesus hineingekommen ist. Wem gehört Weihnachten? Lasst uns gut überlegen, wie es viel deutlicher werden kann, dass Jesus Christus der wirkliche Herr dieses Festes ist.