Wie man in der Fremde leben soll

Predigt am 3. November 2002 zu 1. Petrus 2,11-17

11 Liebe Brüder, ich ermahne euch als Fremdlinge und Pilger: Enthaltet euch von fleischlichen Begierden, die gegen die Seele streiten, 12 und führt ein rechtschaffenes Leben unter den Heiden, damit die, die euch verleumden als Übeltäter, eure guten Werke sehen und Gott preisen am Tag der Heimsuchung.

13 Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem König als dem Obersten 14 oder den Statthaltern als denen, die von ihm gesandt sind zur Bestrafung der Übeltäter und zum Lob derer, die Gutes tun. 15 Denn das ist der Wille Gottes, dass ihr mit guten Taten den unwissenden und törichten Menschen das Maul stopft – 16 als die Freien, und nicht als hättet ihr die Freiheit zum Deckmantel der Bosheit, sondern als die Knechte Gottes.

17 Ehrt jedermann, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehrt den König!

Petrus erinnert uns in diesem Brief an unseren Status in der Welt: wir sind Fremdlinge, wie es so schön in dieser Übersetzung heißt, wir sind Ausländer, Leute mit einer anderen Staatsbürgerschaft. Das ist das Los der Christen, das gehört mit dazu, wenn man Mitglied der Gemeinde Jesu ist. Die Leute merken irgendwie doch, dass wir anders sind, da können wir noch so viel Bodenständigkeit demonstrieren.

Christen sind Menschen, die irgendwann ihrer Sehnsucht gefolgt sind und sich auf eine Reise gemacht haben, um ihre verlorene Heimat zu finden, aus der sie hin und wieder eine Botschaft erreicht. Alle Menschen hören irgendwann diesen Ruf. Alle hören irgendwann die leise Stimme, mit der Gott uns zuflüstert, dass er uns gewollt hat und dass er uns mit seiner Gnade und Freundlichkeit überraschen und beglücken will.

Überall in der Welt hat Gott versteckte Hinweise darauf angebracht: im Aufgang der Sonne am Morgen, wenn sie ihre Pracht entfaltet, im großartigen Anblick strömenden Regens und gewaltiger Wolkenzusammenballungen über dem Land, im Lachen guter Freunde, in vielen Geschichten, die unter Menschen erzählt werden – Geschichten von Mut und Treue und Hoffnung, die sich gegen alle Entmutigungen bewährt. Und ich glaube, dass die Existenz eines jeden von uns damit begonnen hat, dass wir einen Ruf Gottes vernahmen, der zu uns sprach: komm ins Dasein! Du sollst leben; vertrau mir! Und wir haben dem Versprechen dieses Rufes vertraut und haben uns ins Leben rufen lassen. Wir können uns daran genauso wenig erinnern wie an unsere Geburt oder an unser Leben als ungeborenes Kind. Aber genauso wie diese frühen Erlebnisse von Geburt und erstem sich-Zurechtfinden in der Welt trotzdem unser ganzes Lebensgefühl beeinflussen, so hallt in unserem Leben bis heute dieser Ruf Gottes nach, mit dem er uns ins Dasein gerufen hat. Und immer wieder begegnen uns diese Momente, die uns daran erinnern und uns sagen, dass unsere wirkliche Heimat nicht hier ist, sondern – irgendwo anders, jenseits der Grenzen dieser Welt.

Haben Sie schon einmal am Ufer des Meeres gestanden und sich vorgestellt, dass da irgendwo weit draußen hinter dem Horizont Ihre Heimat liegt, und eines Tages wird ein Schiff kommen und Sie abholen und dahin bringen, wo Sie eigentlich hingehören?

Das ist natürlich nur eins von vielen anderen Bildern, in denen man dieses grundlegende menschliche Bewusstsein beschreiben kann: es muss noch mehr geben! Das hier kann noch nicht alles sein! Und wir schauen immer weiter aus nach Gerechtigkeit, Güte und Frieden, obwohl uns die Welt so oft das Gegenteil erfahren lässt.

Aber es gibt auch eine andere Möglichkeit. Man kann sich diese Flausen irgendwann aus dem Kopf schlagen und sagen: Schluss mit den Träumereien, ich kümmere mich um das wirkliche Leben, alles andere ist doch bloß Seelenbräu. In der 5. Klasse hatten wir einen Mathematiklehrer, der dieses Wort liebte. Seelenbräu! Das war alles, was mathematisch nicht exakt war, wenn einer irgendetwas meinte und dachte und glaubte und keine präzise Antwort gab: Seelenbräu! Und so beschließen Menschen irgendwann, sich von den Träumen der Kindertage zu trennen und realistische erwachsene Menschen zu werden, die sich nur zu Weihnachten oder auf Beerdigungen oder im Kino sentimentale Gefühle erlauben.

Aber da sind eben noch die anderen, die diese Stimme nicht zum Schweigen gebracht haben, sondern sie eines Tages wiedererkannt haben im Ruf Jesu von Nazareth und beschlossen haben, diesem Ruf zu folgen. Können Sie sich vorstellen, dass solche Menschen die anderen nicht kalt lassen? Denn dieser Ruf Gottes: komm ins Leben, vertrau mir, ich will, dass es dich gibt – dieser Ruf, dem wir einmal gefolgt sind, ganz am Anfang, der klingt im Leben jedes Menschen nach, und keinen lässt er kalt.

Und deshalb schwanken die Menschen zwischen Faszination und Abwehr, wenn sie Leuten begegnen, die diesem Ruf folgen. Sie fragen sich: kann man das denn? Einfach so? Dann müsste ich es ja auch können! Und die einen erinnern sich neu an diesen Ruf, den sie schon fast ganz aus ihrem Leben verbannt hatten. Und andere fühlen sich angegriffen und kritisiert, einfach durch die Existenz anderer, die diese Sehnsucht in ihrem Herzen nicht zum Schweigen gebracht haben. Und so kommt es, dass authentische Christen einerseits Bewunderung und Freude hervorrufen, und ihnen andererseits alles Böse nachgesagt wird. Durch die Geschichte ziehen sich die Vorwürfe, dass dies eine gefährliche Sekte sei, vor der man die Menschen schützen müsse.

Und hier im 1. Petrusbrief steht etwas darüber, wie wir mit dieser Situation umgehen sollen: Fremde zu sein, die nicht wirklich zu Hause sind in dieser Welt, sondern Bürger einer anderen Gemeinschaft.

Petrus sagt dazu folgendes:

  1. Bringt euch nicht selbst um das Beste, bringt euch nicht um dieses Bürgerrecht, indem ihr seine Regeln übertretet!
    Liebe Freunde, die Menschen, die den Ruf Gottes in ihrer Seele zum Schweigen gebracht haben, die brauchen einen Ersatz dafür. Und sie finden ihn auch irgendwo. Sie füttern ihre Seele mit Ersatz jeder Art. Sie füttern ihre Seele mit Schokolade oder mit Drogen, sie mästen sie mit Wichtigkeit und Beachtung, sie durchsuchen die ganze Welt nach Liebe in jeder Form, und sie bleiben trotzdem unzufrieden.
    Und nun sagt Petrus: ihr, die ihr eine andere Heimat habt, macht das bitte nicht! Ihr habt euch doch entschieden, dem Ruf Gottes zu vertrauen, dann vertraut auch wirklich darauf, dass eure Seele von ihm ernährt wird und greift nicht zu dem billigen Zuckerzeug, das die anderen futtern. »Enthaltet euch von den fleischlichen Begierden, die gegen die Seele streiten« heißt es etwas altertümlich, aber gemeint ist: ihr macht euer Bestes kaputt, wenn ihr die Sehnsucht nach der wirklichen Heimat betäubt mit all den schnellen Entlastungen, zu denen die anderen greifen.
    Man muss eben sagen, dass das häufiger, als man denkt, auch unter Christen vorkommt. Man muss gar nicht an diese Fernsehprediger denken, die gegen Unmoral, wilde Ehen und Abtreibung zu Felde ziehen und am Ende kommt heraus, dass sie ein Verhältnis mit ihrer Sekretärin hatten. Wer ein bisschen tiefer sehen kann, der weiß, dass sowas auch auf viel alltäglicherem Niveau vorkommt, dass Christen eine anständige, rechtgläubige Sonntagsfassade haben, aber dahinter spielt Alkohol eine Rolle, Heißhunger auf Süßigkeiten, Disziplinlosigkeit, oder auch Dinge wie Neid, Kritisieren, Schimpfen.
    Und die Menschen draußen sehen das mit Zufriedenheit und sagen: ach ja, die kochen auch nur mit Wasser. Sie fühlen sich als was besseres, aber ihre wirkliche Lebensenergie beziehen sie aus den gleichen kleinen Gemeinheiten wie wir. Und sie hören mit Wohlwollen die Geschichte von der legendären frommen Frau, die jeden Morgen um 6 in die Frühmesse rennt und zu Hause ihrer Schwiegertochter die Hölle heiß macht.
    Deshalb sagt Petrus: bezieht eure Energie aus der Quelle, die ihr wirklich habt, aus der Liebe Gottes und der Vertrautheit mit ihm. Bedient euch nicht woanders.
    Petrus‘ nächster Rat:
  2. Benehmt euch wie Gäste!
    Wenn wir schon in dieser Welt immer ein bisschen wie Fremde leben, dann sollen wir uns auch an die Regeln erinnern, die man als Gast einhält. Und die gelten auch dann, wenn man deutlich die Schwächen der Gastgeber sieht.
    Petrus macht das deutlich am Beispiel des Staates. Da ist ja oft die Diskrepanz groß zwischen dem hohen Anspruch und der viel bescheideneren Wirklichkeit. Das kannst du in jeder Zeitung lesen. Wenn man aber gewohnt ist, Menschen von Jesus her anzuschauen, dann merkt man natürlich noch viel mehr, wie da manchmal Menschen mit ihren ganzen Lebensnöten und ihren Enttäuschungen und Kränkungen in Positionen kommen, die Balsam sind für ihre geschundenen Seele. Sie üben Macht aus, sie können andere warten lassen, sie entscheiden über andere. Und wie da auch an hohen Positionen Unfähigkeit herrscht, Mutlosigkeit, Gleichgültigkeit.
    Und dazu sagt Petrus: ehrt den König! Auch ein schwieriger oder unfähiger König ist immer noch ein Mittel Gottes, um in dieser Welt ein geordnetes Leben zu ermöglichen. Gut, gegen manche »Könige« muss man demonstrieren oder man muss sie abwählen, aber man darf nie vergessen, dass es ganz schlimme Situationen gibt, wenn die staatliche Ordnung zusammenbricht und jeder tun kann, was er will. Dann regieren die Gangster.
    Und für diese Mitwirkung an Gottes gutem Willen auf der Erde, dafür ehrt den König. Lieben müsst ihr ihn nicht, aber respektieren.
    Auch wenn ihr natürlich hinter die Kulisse schaut und seht, was wirklich los ist, vergesst nicht, dass ihr Gäste seid und euch so benehmen müsst. Lasst die Überlegenheit und Freiheit, die ihr habt, nicht zur Arroganz werden. Nutzt eure Stärke nicht, um andere auszunutzen. Seht zu, dass die Verleumdungen, die über euch in die Welt gesetzt werden, Lügen bleiben.
    Schließlich:
  3. Lebt so, das euer Leben sich eines Tages sehen lassen kann!
    Petrus schaut voraus auf den Tag, an dem alles ans Licht kommen wird. Gemeint ist der Tag, wenn die Welt an ihr Ende kommt und vor Gott tritt. Dann wird alles offen daliegen und alle Menschen werden die wirkliche Geschichte sehen. Und Petrus sagt: denkt von diesem Tag her! Lebt so, dass die Leute dann sagen: ach, so war das! Wir haben alles mögliche Finstere bei den Christen vermutet, aber in Wirklichkeit waren die das, die so viel Gutes in die Welt gebracht haben! Wir haben Gott für ein Märchen gehalten, wir haben seinen Ruf überhört, aber in Wirklichkeit hat er die ganze Zeit eine Flut von Segen in die Welt gebracht, und wir haben es nicht gemerkt.
    Und dann soll an diesem entscheidenden Tag ein großer Lobgesang ertönen, wenn alle Menschen sehen, wie hervorragend und wie gnädig Gott die ganze Zeit für seine Schöpfung gesorgt hat. Diejenigen, die jetzt schnell dabei sind, mit flinker Zunge den neuesten Klatsch und die neuesten Skandalnachrichten weiterzuerzählen, die sollen dann ebenso engagiert Gott loben für seine lange Geschichte mit dieser Welt.
    Und bei dieser Geschichte Gottes spielen die Christen eine zentrale Rolle. Durch uns soll sein Segen in die Welt kommen, an uns soll zu sehen sein, wie man tatsächlich von dem Ruf Gottes her leben kann, mitten in dieser schwierigen Welt. Wir werden heute die Menschen nicht mit guten Taten davon überzeugen, dass es richtig ist, auf den Ruf Gottes zu hören und ihm um jeden Preis zu folgen. Das hat selbst Jesus nicht geschafft, alle zu überzeugen, im Gegenteil.
    Aber wir sollen so leben, dass unser Weg bestehen kann an dem Tag, an dem alles aufgedeckt wird. Wir sollen in unserem ganzen Leben dem Ruf Gottes treu bleiben, mit dem er von Anfang an um unser Vertrauen geworben hat: Lebe aus meiner Kraft! Es gibt diese Heimat, die du noch nie gesehen hast. Du hast dort jetzt schon Heimatrecht. Vertrau mir, dass ich dich dahin bringen werde, und lebe bis dahin so, dass du in diese Heimat hineinpasst.