Kraft zum Widerstehen – woher?

Predigt am 13. Februar 2005 zu 1. Mose 3,1-7

Vorhin haben wir die Geschichte gehört, wie Jesus den drei Kernversuchungen widerstanden hat (Matthäus 4,1-11): aus Steinen Brot machen, also sich materielle Dinge besorgen ohne Gott, sich einen Namen machen, berühmt sein ohne Gott, und schließlich die Welt beherrschen ohne Gott. Es waren nicht die klassischen Sünden, an die wir bei diesem Wort immer denken, die der Teufel ihm nahelegte, sondern es ging immer darum, dass er herausfiel aus seiner engen Verbindung zu Gott. Das mochte der Teufel nicht, dass jemand in so einem Vertrauen zu Gott ruhte, dass ihn das sozusagen schlafwandlerisch den richtigen Weg gehen ließ – wobei Jesus natürlich sehr wach war. Aber er hatte eben die richtige Nase dafür, so dass er merkte, wo etwas faul war.

Als Jesus damals in der Wüste dem Feind begegnete, da war er nicht der erste, dem das geschah. Es war im Grunde die Wiederholung einer alten Geschichte aus den ersten Tagen der Menschheit. Nur ist damals die Geschichte nicht gut ausgegangen. Und sie spielte auch nicht in der unwirtlichen Wüste, sondern im genauen Gegenteil davon: nämlich im Paradies. Vielleicht wissen Sie jetzt schon, welche Geschichte das ist: die Geschichte von der Versuchung Adam und Evas (1. Mose 3). Und die geht so:

1 Die Schlange war das klügste von allen Tieren des Feldes, die Gott, der HERR, gemacht hatte. Sie fragte die Frau: »Hat Gott wirklich gesagt: ‚Ihr dürft die Früchte von den Bäumen im Garten nicht essen‘?« 2 »Natürlich dürfen wir sie essen«, erwiderte die Frau, 3 »nur nicht die Früchte von dem Baum in der Mitte des Gartens. Gott hat gesagt: ‚Esst nicht davon, berührt sie nicht, sonst müsst ihr sterben!’«
4 »Nein, nein«, sagte die Schlange, »ihr werdet bestimmt nicht sterben! 5 Aber Gott weiß: Sobald ihr davon esst, werden euch die Augen aufgehen, und ihr werdet alles wissen, genau wie Gott. Dann werdet ihr euer Leben selbst in die Hand nehmen können.«
6 Die Frau sah den Baum an: Seine Früchte mussten köstlich schmecken, sie anzusehen war eine Augenweide, und es war verlockend, dass man davon klug werden sollte! Sie nahm von den Früchten und aß. Dann gab sie auch ihrem Mann davon, und er aß ebenso. 7 Da gingen den beiden die Augen auf, und sie merkten, dass sie nackt waren. Deshalb flochten sie Feigenblätter zusammen und machten sich Lendenschurze.

Wir werden hier Zeuge einer wirklichen raffinierten Kunst der Verführung. Mit einer einzigen klugen Frage bringt die Schlange Eva aus dem Gleis: hat Gott euch wirklich verboten, von diesen herrlichen Früchten im Garten zu essen?

Das ist raffiniert, weil Eva jetzt sogar zur Verteidigerin Gottes wird und sagt: natürlich nicht – nur von einem einzigen Baum dürfen wir nicht essen! Und damit ist genau dieser eine Baum Thema, der Adam und Eva sonst in den Wäldern des Paradieses gar nicht groß aufgefallen wäre.

Vorher lebten die beiden in Freude und Fülle, und dieser eine verbotene Baum war kein Problem. Gott hatte ihnen so viel Gutes gegeben, es war alles wunderbar. Jetzt richtete sich die ganze Aufmerksamkeit auf diesen einen verbotenen Baum, gerade weil Eva Gott so energisch verteidigt hat. Gegenüber diesem einen Baum verblassen jetzt die ganzen andern Bäume.

Das ist, wie wenn ein schon halb erwachsenes Kind gefragt wird: Stimmt es wirklich, dass deine Eltern dir nie erlauben, abends wegzugehen? Und wenn dann das Kind antwortet: natürlich darf ich abends weggehen, ich muss nur um 12 wieder zu Hause sein! dann ist sofort das Thema da: müsste ich nicht eigentlich bis ein Uhr wegbleiben dürfen, oder müsste ich nicht selbst entscheiden können, wann ich nach Hause komme? Und schon ist ein einfaches Vertrauensverhältnis zu einem Problem geworden.

Darauf richtet sich in Wirklichkeit die Versuchung: das Vertrauensverhältnis zwischen Gott und den Menschen zu untergraben. Wenn das erst mal gestört ist, dann zankt man sich um einzelne Regelungen: von welchem Baum darf ich essen? wieviel darf ich essen? an welchen Tagen darf ich essen? muss ich vor dem Essen beten? wieviel muss ich für die Armen reservieren?

Die meisten Fragen im moralischen Bereich gehen um solche Themen: wieviel ist mir erlaubt, und was muss ich nun tatsächlich doch vermeiden? Es ist ein Gerangel um Grenzen, vergleichbar mit den entnervenden Auseinandersetzungen zwischen Eltern und ihren heranwachsenden Kindern um die Grenzen des Erlaubten.

Und das alles hat die Schlange mit dieser einen Frage ausgelöst. Die war wirklich schlau. Und dass sie dann anschließend nachschob: in Wirklichkeit hat Gott euch nämlich das Beste vorenthalten!, das war dann, nachdem das Vertrauensverhältnis erst erschüttert war, gar nicht mehr schwer.

Der Trick dabei ist: Wer fragt, führt. Wer fragt, setzt den Rahmen für die Antwort. Und Eva oder auch Adam hätten das eigentlich nur so abwehren können, dass sie die Schlange selbst zum Thema gemacht hätten: wie kommst du dazu, so zu reden? Du weißt ganz genau, dass wir von allen Bäumen im Garten essen dürfen – warum verdrehst du das? Verschwinde, Schlange! Vertrauen muss verteidigt werden, man darf nicht einfach dabeistehen und zusehen, wie es weggeht, es ist unsere Entscheidung, ob wir es beschützen wollen. Jesus hat genau das getan, er hat nicht zugesehen, wie sein Vertrauen untergraben wurde, sondern er hat am Ende der Versuchungsgeschichte den Teufel zum Thema gemacht und gesagt: verschwinde Satan! Und dann war erstmal Ruhe.

Aber damals im Paradies ist es anders gelaufen, der Schaden war geschehen, das Vertrauen untergraben, und so blieb dann die Lage für lange Zeit. Und das war nichts Harmloses, da ging es nicht um die süße Versuchung von kalorienhaltigen Betthupferln, sondern ein Kapitel später liegt der erste Tote in seinem Blut, Kain erschlägt seinen Bruder Abel, und so ist es dann weitergegangen mit der Menschheitsgeschichte: Mord und Totschlag, Kampf um Macht und Reichtum, mühsame Arbeit und Ausbeutung, ewige Auseinandersetzungen zwischen Männern und Frauen. In dieser Versuchungsgeschichte geht es um den künftigen blutigen Weg der Menschheit, um alles, was uns bis heute bedrückt und angreift und manchmal zerstört.

Gott hat zunächst einmal versucht, den Schaden zu begrenzen. Dazu hat er dann Gebote gegeben, damit nicht immer mehr Zerstörung und Schaden entstehen. Aber alle Ge- und Verbote haben schon die Voraussetzung des zerstörten Vertrauens. Sie gehen davon aus, dass Menschen in sich den Impuls haben, auf Kosten anderer zu leben. Wenn Menschen nicht mehr Gott vertrauen, dass er sie versorgen wird, dann meinen sie, dass sie ihre Interessen in die eigenen Hände nehmen müssen, auch auf Kosten anderer Menschen und auf Kosten der Schöpfung. So einfach ist das: alles Zerstörerische kommt aus dem gestörten Vertrauen zu Gott.

Deswegen kann alle Moral und alle Vorschriften den eigentlichen Schaden nicht kitten. Manchmal erreichen sie sogar das Gegenteil: sie konzentrieren auch noch unsere Aufmerksamkeit auf das Verbotene, und, wie es so schön heißt, »was verboten ist, das macht uns gerade scharf«. Deswegen gibt es überall da, wo man die höchsten moralischen Anforderungen stellt, auch immer die schlimmsten Skandale. Im Neuen Testament, besonders bei Paulus heißt so etwas das »Gesetz«, und er beschreibt genau diese Zwiespältigkeit, dass die Gesetzesvorschriften einerseits notwendig und berechtigt sind, und wir könnten gar nicht überleben, wenn es diese Regeln nicht gäbe. Und auf der anderen Seite verbreitern sie auch immer wieder die Kluft zwischen Gott und den Menschen, sie zementieren das Misstrauen, sie produzieren einerseits Rebellion und andererseits schlechte Gewissen und Selbstvorwürfe, und das macht die Menschen auch nicht gerade besser.

Es ist wie überall: wenn man etwas bekämpft, dann bleibt man doch irgendwie mit ihm verbunden, es nimmt dann großen Raum im eigenen Leben und Denken ein. Wenn man das Böse bekämpft, dann muss man immer daran denken, und das bekommt uns nicht gut. Viel besser ist es, für etwas Positives zu leben statt gegen etwas Schlechtes.

Deswegen waren die Gebote und das Gesetz nur Gottes provisorische Notmaßnahme, und er hat immer wieder versucht, den Kern des Problems zu heilen: das gestörte Vertrauensverhältnis. Und am Ende ist Jesus gekommen, damit es auf dieser Erde endlich einen Menschen gibt, der dieses ganze Hin und Her von Misstrauen, Moral und Rebellion hinter sich lässt und einfach eine neue Art zu leben verwirklicht, ein Leben jenseits dieser ganzen Gesetzesproblematik. Er hat das Böse dadurch angegriffen, dass er das Gute lebte mitten in einer Welt voller Zerstörung. Und zwar nicht als so eine Art Gutmensch, der die Niederungen der Realität einfach nicht zur Kenntnis nimmt, sondern er ist mehr als alle anderen in diese Niederungen der Realität hineingegangen und hat gerade an die dunklen Orten das Licht gebracht.

Sehen Sie, im Paradies war es nicht schwer, gut zu sein. Die ganze Umgebung legte das nahe: alles war schön und reich und gut und begeisternd. Wenn wir satt und gesund sind, keinen Stress und nette Menschen um uns herum haben und das Wetter gut ist, dann ist es auch für uns nicht schwer, freundlich und großzügig zu sein- eben gut. Aber leider ist das die Ausnahme, und die Verhältnisse sind meistens nicht so. Wir leben nicht mehr im Paradies. Und Jesus hat eben in noch schlimmeren Verhältnissen leben und am Ende sterben müssen.

Und trotzdem hat er mitten in der harten Realität aus der Kraft Gottes gelebt, er hat sozusagen aus einem inneren Paradies heraus gelebt. Die Liebe und Freundlichkeit Gottes konnte er nicht mehr an der Außenwelt so ablesen, wie Adam und Eva das noch konnten, nein, Jesus hat sie im Herzen mit sich getragen. Wenn man es etwas plakativ und missverständlich sagen soll: er hat sein Paradies immer im Herzen mit sich geführt. Deswegen konnte er unter den Menschen so erstaunliche Dinge tun. Deswegen konnte der Teufel ihn nicht von seinem Weg abbringen, weil er etwas viel Besseres in sich trug. Demgegenüber war die Weltherrschaft, die ihm der Feind anbot, unattraktiv. Im Vergleich mit dem Reichtum, mit der Fülle Gottes ist das Böse banal und langweilig. Das ist was für Leute, die nichts Besseres haben.

Ich habe mal eine Geschichte gelesen, in der beschrieben wird, wie einer in den Himmel kommt, und er geht durch herrliche Landschaften, durch weite Ebenen und gewaltige Gebirge, es gibt mächtige Ströme und liebliche Bäche, es duftet herrlich, die Vögel singen, und alles ist noch viel schöner als auf der Erde. Und dann kommt ein Engel und sagt ihm: ach, ich wollte dir noch was zeigen. Schau mal, siehst du diese kleine Spalte im Felsen? Und er muss schon gut hinschauen, aber dann sieht er da eine Ritze, und er hört, dass da so ein leises misstönendes Summen herauskommt, ein ganz anderes Geräusch als alles andere, was er bisher im Himmel gehört hat. Er fragt: »Was ist das?« Und der Engel sagt: »das ist die Hölle«. So klein, unbedeutend und unattraktiv ist das Reich des Satans in Wirklichkeit, ein armseliger Winkel im Vergleich zur Fülle Gottes. Und der Teufel muss alle möglichen Tricks anwenden, damit wir das nicht merken.

Liebe Freunde, wir müssen wissen, dass wir in einen Kampf verwickelt sind. Da versucht jemand mit allen Tricks, uns die Größe und Herrlichkeit zu nehmen, für die wir geschaffen sind, und uns in sein mickeriges, banales, langweiliges Gefängnis zu sperren. Und er hat noch nicht mal ein richtiges Schloss zum Zuschließen, sondern er versucht uns nur einzureden, dass die Tür so fest zu wäre, dass es gar keinen Zweck hätte, einfach mal auszuprobieren, ob man da nicht heraus kann.

Aber deswegen versucht er dauernd, uns Misserfolge zu bereiten: er schickt uns Krankheiten und Probleme, er sät Streit und Misstrauen, er belastet die Beziehungen zu unseren Partnern und Kindern und Freunden, er streut Sand ins Getriebe, wo es nur geht, damit wir nur nicht auf die Idee kommen, dass es ein ganz anderes Leben gibt, das für uns bestimmt ist.

Denn Jesus hat keine neuen Vorschriften gebracht, sondern er hat ein anderes Leben gelebt. Ideen was man tun sollte und Vorschriften, was man nicht tun sollte, das kennen die Leute. Das bewegt sie nicht. Aber ein anderes Leben, geprägt von der Kraft und Liebe Gottes, wo das passiert, da hat der Feind nichts entgegenzusetzen. Und Jesus hat sein Leben so gelebt, dass da auch Platz für uns ist. Das soll tatsächlich passieren, das ist zum Anschauen und Mitmachen. Das soll wachsen unter den Menschen, allen Sabotageversuchen des Feindes zum Trotz. Es geht darum, dass es geschieht, mitten unter uns. Das ist die eigentliche Antwort an den Feind.