Ewiges Leben – mitten unter uns, zum Anfassen

Predigt am 2. Januar 2022 zu 1. Johannes 1,1-4

1 Was von allem Anfang an da war, was wir gehört haben, was wir mit eigenen Augen gesehen haben, was wir angeschaut haben und betastet haben mit unseren Händen, nämlich das Wort, das Leben bringt – davon reden wir. 2 Denn das Leben ist offenbar geworden, und wir haben es gesehen; wir sind Zeugen dafür und verkünden euch das unvergängliche Leben, das beim Vater war und sich uns offenbart hat.

3 Was wir so gesehen und gehört haben, das verkünden wir euch, damit ihr in Gemeinschaft mit uns verbunden seid. Und die Gemeinschaft, die uns miteinander verbindet, ist zugleich Gemeinschaft mit dem Vater und mit Jesus Christus, seinem Sohn. 4 Das erfüllt uns mit großer Freude. Und wir schreiben euch diesen Brief, damit unsere Freude vollkommen wird.

Woran denkt ihr, wenn ihr irgendwo vom »Ewigen Leben« hört oder lest? Ich vermute, dass wir alle – ich auch – dann sofort an ein Leben denken, das beginnt, nachdem wir tot sind. Die einen malen sich das sogar irgendwie aus, einen Himmel, wo wir uns dann alle versammeln und Menschen wiedersehen, die vor uns gestorben sind. Andere denken eher abstrakt und sagen: wir sind dann bei Gott, und wirklich vorstellen, wie das ist, können wir uns das jetzt noch gar nicht.

Ein problematisches Missverständnis

Das sind ungefähr die Gedanken, die wir in einer langen christlichen Geschichte mit dem Begriff des »ewigen Lebens« verbunden haben. Und wenn wir dann dieses Wort in der Bibel lesen oder in einer Predigt hören, dann ist diese Vorstellung sofort da, und wir hören gar nicht mehr, was die Bibel wirklich sagt – z.B. am Anfang des ersten Johannesbriefes, den ich vorgelesen habe.

Wenn jemand ein sehr gutes Gedächtnis hat – wie ich es wahrscheinlich nicht hätte – , dann könnte er jetzt sagen: wieso? Das Wort »ewiges Leben« kam da doch gar nicht vor! Und das stimmt, ich habe die »Gute Nachricht«-Übersetzung vorgelesen, da ist der Begriff anders ins Deutsche übertragen, wahrscheinlich, weil die Übersetzer vermeiden wollten, dass wir da sofort dieses Bild vom Leben nach dem Tod vor uns haben. Aber ich lese das mal in der Lutherübersetzung vor, die wörtlicher ist. Da heißt es:

»Das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist.«

Johannes redet also von einem Leben, das beim Vater war (bei Gott), aber das jetzt unter uns erschienen ist. Das ist also nichts, was noch vor uns liegt, wenn wir mal tot sind. Johannes spricht hier natürlich von Jesus, und wenn er »Wir« sagt, dann meint er die Apostel, die Augenzeugen, die Leben, Tod und Auferstehung Jesu aus nächster Nähe mitbekommen haben. Und er sagt: dieses ewige Leben ist unter uns erschienen, wir haben es gesehen, wir konnten Jesus anfassen, er war so konkret und wirklich, wie man es sich nur wünschen kann. Auch als Auferstandener hat er noch Fisch gegessen, er war kein Geist, der nur wie ein Schatten durch die Ruinen spukt. Er hatte einen Körper, auch nach der Auferstehung.

Die Botschaft der Apostel

Und gleichzeitig, sagt Johannes, gleichzeitig ist Jesus das ewige Leben: das, was schon vor Erschaffung der Welt da war, die schöpferische Lebenskraft Gottes, die alles ins Dasein gerufen hat. Aber diese Lebenskraft wohnt jetzt nicht mehr nur jenseits der Welt, sondern sie hat mitten unter uns Gestalt angenommen, wir konnten sie bei der Arbeit sehen. Und seit damals geben wir Apostel diese Botschaft weiter, dieses Evangelium, damit wir selbst und viele andere auch mit dem ewigen Leben, das in Jesus ist, verbunden sind. Das ist die Basis christlicher Gemeinschaft. Jetzt und hier.

Das ist die christliche Botschaft in ihrem Kern. Das ewige Leben mitten unter uns, seit Jesus. Wahrscheinlich hat man diesen Predigttext so direkt nach Weihnachten platziert als Gegenpol zum holden Knaben im lockigen Haar. Das Entscheidende an diesem Knäblein, von dem wir noch nicht mal wissen, ob er denn niedlich ausgesehen hat oder nicht, ob er überhaupt schon Haare hatte oder nicht, wem er ähnlich gesehen hat oder nicht, – also das Entscheidende ist, dass er die Übersetzung der Schöpfungskraft Gottes in Menschengestalt ist. Der Himmel ist auf die Erde gekommen. Das ewige Leben hat unter uns begonnen und breitet sich aus. Das ist das Eigentliche am christlichen Glauben.

„Mit dem Tod ist nicht alles aus!“

Dass mit dem Tod nicht alles aus sein soll, das ist nichts Besonderes. Das glauben so ziemlich alle bis auf die kleine Minderheit der ganz hartgesottenen Atheisten. Das glaubten die Germanen ebenso wie die alten Griechen und die Ägypter des Pharaonenreichs. Deswegen hat man den Toten manchmal auch lauter Dinge mit ins Grab gegeben, die ihnen im Jenseits vielleicht nützlich sein könnten: Schmuck, Waffen, Wagen, das Lieblingspferd oder die Lieblingsfrau, das Fußballtrikot, eben alles, was das Leben auch im Jenseits möglichst angenehm macht. Die Reichen bekamen mehr mit, die Armen weniger.

Nur die Juden haben schon verstanden, dass das Jenseits keine Fortsetzung unseres irdischen Lebens sein kann, weil sonst die Armen und Unterdrückten nie Gerechtigkeit finden. Das kann doch nicht sein! Die Juden kannten den Gott, der das Unterste zuoberst kehrt. Und die ersten Christen waren ja Juden und deshalb teilten sie diesen Glauben, dass Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird, wo Gerechtigkeit wohnt. Das war schon gut, aber die Christen setzten noch einen drauf. Sie sagten: und das hat im Verborgenen hier schon begonnen. Mit Jesus. Das ist der eigentlich christliche Punkt.

Und Johannes reitet auf diesem einen Punkt rum: wir haben ihn gesehen, wir haben das ewige Leben angefasst. Mit unseren Augen, mit unseren Händen. Es war konkret, materiell, hier auf dieser Erde. Die neue Welt, die Gott schafft, ist schon da, man kann aus ihr leben, es geht nicht um eine Theorie oder ein Projekt, das sich jemand ausgedacht hat, es ist keine Idee zur Erbauung unseres Innenlebens, kein Plan, der noch verwirklicht werden muss, sondern konkrete Realität. Keine Utopie, sondern ein neues, erfahrbares Leben mitten in der alten Welt zwischen Müll und Viren. Und der Rest des Briefes geht dann um die Frage, wie das denn konkret funktioniert.

Eine anspruchsvolle Religion

Liebe Freunde, deswegen ist das Christentum so eine anspruchsvolle Religion. Es ist einfach, den Leuten zu erzählen, dass man in den Himmel kommt, wenn man sonntags zum Gottesdienst geht, oder wenn man Ungläubige massakriert, oder wenn man als braver Bürger lebt, oder als Veganer oder was auch immer. Das kann keiner überprüfen. Da kannst du den Leuten alles erzählen, das müssen sie dir glauben, und meistens glauben sie es ja auch ganz gerne.

Aber wenn ich sage: das ewige Leben ist schon da, vor 2000 Jahren haben einige doch sehr glaubwürdige Menschen das erlebt, und seit damals realisiert sich das in lebendigen Menschen, die die Welt um sie herum zu einem besseren Ort machen. Dann ist natürlich die Rückfrage: echt? Wo kann man das denn sehen und erleben und anfassen? Kann man da mitmachen? Ich will da gar nicht von denen reden, die dann gleich mit Hexenprozessen, Kreuzzügen, Missbrauchsskandalen und Kirchensteuer kommen. Auch für ganz normale, gutwillige Menschen ist das doch eine völlig normale, richtige und gute Frage: wo kann man da mitmachen bei der neuen Welt?

Und was sagen wir dann? Das musst du eben glauben, dass hier unter uns das ewige Leben irgendwie präsent ist? Diesen Ausweg versperrt uns Johannes. Er redet von Sehen und Anfassen, nicht von »irgendwie-auch-gegen-den-Augenschein-doch-überzeugt-sein«. Nein, dann musst du irgendwas zeigen können. Das sind so Momente, da fällt uns dann Bonhoeffer ein oder Martin Luther King oder jetzt noch mal wieder Desmond Tutu. Die Katholiken holen dann Mutter Theresa raus, und die haben auch noch ein paar Heilige mehr. Und an denen kann man ja wirklich zeigen, was mit Christentum gemeint ist. Ja, da hat sich etwas Wichtiges verändert in der alten Welt, und das geht auf den christlichen Impuls zurück, dass jetzt schon die neue Welt begonnen hat.

Und was ist mit uns Normalos?

Aber das erspart uns nicht die Frage, wie das denn aussieht für uns Normalsterbliche, die nicht in solchen historischen Schlüsselmomenten am entscheidenden Ort sind und die wir auch mit unseren Gaben natürlich hinter diesen Großen zurückbleiben. Aber man muss doch auch für solche Durchschnittstypen wie uns etwas sagen und zeigen können, was hinausgeht über: wir sind hier nett zueinander, wir zeigen demnächst mal einen Film in der Kirche, und wir haben ganz schöne Gottesdienste, aber wir haben jetzt auch dauernd Stellenplanung mit schrecklichen Sitzungen. Vielleicht wird es nächstes Jahr endlich besser.

Um es klarer zu sagen: wir sind halt als Kirche in keiner besonders geeigneten Form, um zwischen Müll und Viren den neuen Himmel und die neue Erde zu präsentieren. Irgendwas, was über den normalen Lebenshorizont deutlich herausreciht und ihn aufbricht. Und solange sich das nicht ändert, werden die Leute lieber Yoga machen, wenn die Katastrophen auf uns zurollen und sie ein bisschen abschalten und Stress reduzieren möchten.

Das ist nicht die Schuld einzelner Personen, obwohl manche sicher mehr Unheil anrichten als andere. Aber du musst das nicht als persönlichen Vorwurf verstehen, das hat sich über 1000 oder 1500 oder mehr Jahre so entwickelt. Aber die Frage muss erlaubt sein, ob das in deinem christlichen Glauben zentral ist, nach dieser verborgenen neuen Welt zu suchen, die mit Jesu auf die Erde gekommen ist, und dann Teil davon zu werden.

Billiger geht nicht

Das Christentum ist eben eine anspruchsvolle Religion. Wenn uns das zu schwierig ist, hätten wir auch Germanen bleiben können. Oder, deutlich besser, Juden werden. Da weiß man wenigstens davon, dass Gott alles neu macht. Aber als Christen sind wir unter dem Anspruch, dass dies ganz Neue unter uns präsent ist und dass, wer es nur ehrlich will, mitmachen kann und die Welt sich unter unseren Händen erneuert, im Großen wie im Kleinen.

Niedriger können wir die Messlatte nicht hängen. Die Bibel ist der Maßstab. Das ewige Leben mitten unter uns. Das Reich Gottes, dessen Bürger wir sind. Wer suchet, wird finden. Aber finden nicht in einem erträumten Jenseits, sondern hier, zum Sehen und Anfassen. Wie viel bist du bereit, dafür einzusetzen? Ist das der Punkt, der dein Herz bewegt? Ist es das, worüber du nachdenkst, wenn du nachts aufwachst? Ist das dein zentraler Wunsch fürs neue Jahr?

Dann: Willkommen im Club!