Gottes Handschrift war schon immer erkennbar

Predigt am 16. April 2006 (Ostern I) zu 1. Samuel 2,1-8

Womit sollen wir Ostern vergleichen? Ostern ist, wie wenn jemand, der verspottet und bedrückt war, am Ende gewinnt, und alle, die gespottet haben, bekommen lange Gesichter. So war es mit Hanna, die ihr halbes Leben lang den Makel trug, keine Kinder zu bekommen – ja, das war damals ein Makel, es war damals eine Katastrophe für eine Frau, keine Kinder zu bekommen – mindestens so schlimm, wie es heute sein kann, zur falschen Zeit eins zu bekommen. Hanna war die Frau von Elkana aus dem Stamm Efraim in Israel, und er liebte seine Frau, auch wenn sie keine Kinder bekam. Aber, wie es damals so üblich war, er hatte noch eine andere Frau, und die bekam Kinder. Peninna hieß sie, und der Peninna-Teil der Familie wurde immer größer. Hanna geriet hoffnungslos in die Minderheit. Besonders schlimm war es beim jährlichen Fest im Heiligtum von Silo, so wie bei uns Familienprobleme sich am liebsten zu Weihnachten melden. Beim großen Festessen teilte Elkana die Fleischstücke zu, eins für Peninna, und dann noch eins für ihre Kinder, und noch eins, und noch eins, und noch eins, und noch eins … und dann bekam Hanna auch ihr Stück – wieder nur eins. Die spöttischen Kommentare blieben nicht aus. Peninna hatte eine spitze Zunge und wusste, wie sie Hanna immer wieder verletzen konnte.

In einem Jahr konnte Hanna es nicht länger ertragen. Sie stand vom Tisch auf und lief in den Tempel, und da schüttete sie ihr Herz vor Gott aus und bat: „Schenk mir einen Sohn! Ich will ihn dir auch hier im Heiligtum lassen, damit er dir sein Leben lang dient.“ Und der Priester Eli, der sie dort sah, sagte ihr – ohne zu wissen, worum es ging – aus einer prophetischen Eingebung heraus: „Du wirst bekommen, worum du gebeten hast.“

Um im Jahr darauf, als wieder Opferfest in Silo war, da hatte sie den Sohn, und sie musste sich nie wieder verspotten lassen. Und als er alt genug war, da brachte sie ihn in den Tempel, und aus ihm wurde der große Prophet Samuel. Am Tage, als sie den kleinen Samuel in den Tempel brachte, betete sie dort, und ihr Gebet an diesem Tage ist der Predigttext von heute. Und auch, wenn da von der Auferstehung Jesu noch nichts drinsteht, so ist es doch ein Text, der zu Ostern passt, weil da da schon das Muster präsent ist, nach dem Gott zu Ostern handelt. Die Struktur ist schon da, die am Ende zur Auferstehung Jesu führen wird. Hanna beschreibt genau den Gott, der Jesus von den Toten auferweckte. Man könnte sich vorstellen, dass Jesus sich vielleicht auch mit diesem Text gestärkt hat, als er seinem Tod entgegenging:

1 Hanna betete:
HERR, du hast mich fröhlich gemacht, du hast mich wieder aufgerichtet und mich gestärkt!
Jetzt kann ich über meine Feinde lachen.
Ich bin voller Freude, weil du mir geholfen hast.
2 Der HERR allein ist heilig; es gibt keinen Gott außer ihm.
Auf nichts ist so felsenfest Verlass wie auf ihn.
3 Tut nicht so groß! Spielt euch doch nicht so auf!
Prahlt nicht so frech mit euren Plänen!
Der HERR weiß genau, was ihr tut;er prüft alle eure Taten.
4 Starken Männern zerbricht er die Waffen;
Schwachen und Entmutigten gibt er neue Kraft.
5 Reiche müssen auf einmal ihr Brot mit eigener Hand verdienen;
Arme müssen nicht mehr hungern und können feiern.
Die Frau, die kinderlos war, bringt sieben Kinder zur Welt,
doch die Kinderreiche behält nicht eines.
6 Der HERR tötet und macht lebendig, er verbannt in die Totenwelt,
und er ruft aus dem Tod ins Leben zurück.
7 Er macht arm, und er macht reich, er bringt die einen zu Fall, und andere erhöht er.
8 Die Armen holt er aus der Not, die Hilflosen heraus aus ihrem Elend;
er lässt sie aufsteigen in den Kreis der Angesehenen und gibt ihnen einen Ehrenplatz.

Wenn die Gequälte und Gehänselte endlich einen Sohn bekommt, das ist wie Ostern. Ostern bedeutet: es kommt alles noch mal ganz anderes. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Endlich bekommt sie den Mund auf, sie, die so lange schweigen musste und wehrlos den Spott ertragen musste Erinnert das nicht an Jesus, der stundenlang am Kreuz den Hohn ertragen musste? Aber jetzt: „Herr, du hast mich fröhlich gemacht, du hast mich wieder aufgerichtet und gestärkt“.

Und denken wir an die Jünger! Eingeschüchtert und ängstlich hatten sie sich nach Jesu Tod versteckt, sie fürchteten, dass sie als nächstes dran wären, sie lebten nur noch hinter fest verrammelten Türen. Aber dann begegnen sie Jesus, und die Furcht macht der Freude Platz, bald werden sie sich trauen, öffentlich von Jesus zu reden. Verzweifelte, eingeschüchterte Menschen tun ihren Mund weit auf. Überall versuchen die Mächtigen zu verhindern, dass die Dinge ausgesprochen werden. Denken dürfen wir, was wir wollen, solange die Gedanken nicht öffentlich wirksam werden. Aber dass die verstörten Jünger wieder zu reden anfingen, ohne Furcht und Zögern, das ist für mich eins der stärksten Argumente dafür, dass die Botschaft von der Auferstehung stimmt: da hat sich etwas verändert, und das muss einen Grund haben. Einfach so werden Menschen nicht mutig. Sie müssen eine echte Wende erlebt haben.

Es gibt genügend Stunden im Leben, wo alles ganz dunkel aussieht. Aber dann gibt es auch die Momente, wo es sich alles auflöst, wo man deutlich merkt: Gott ist mit mir, er hat mich nicht verlassen.

Wenn es nur ein gefühlloses Schicksal gäbe, das könnte man nicht preisen, da gäbe es nichts zu rühmen, nein, es wäre ja alles ganz zufällig gekommen, und morgen kann es wieder anders sein. Aber Gott ist kein Schicksal, sondern eine Person, er ist jemand, der hört, und an den wir uns wenden können. Seine Handschrift kann man an vielen Punkten wiedererkennen.

Wenn wir die Wechselfälle des Lebens beschreiben, dann sagen wir meistens: wir haben Glück und Unglück, es gibt Wachstum und Zerfall, Gewinn und Verlust, Geburt und Tod. Oder wir sagen: Gott gibt und er nimmt, er macht reich und wieder arm. Schon die Reihenfolge, in der wir das sagen, macht deutlich: pass auf, das dicke Ende kommt nach! Wir können mal Glück haben, aber dann holt uns das Pech doch wieder ein. Wir werden geboren und leben unsere Jahre, aber am Ende holt uns der Tod, das ist das Sicherste in der Welt.

Aber die Bibel beschreibt das hier anders:

6 Der HERR tötet und macht lebendig, er verbannt in die Totenwelt,
und er ruft aus dem Tod ins Leben zurück.
7 Er macht arm, und er macht reich, er bringt die einen zu Fall, und andere erhöht er.

Das ist kein Zufall, dass es hier andersherum beschrieben wird. Bei Gott steht nicht der Tod und das Vergehen an letzter Stelle, sondern der Segen und das Leben. Gott führt auch durch dunkle Täler, aber seine eigentlich Sache ist es, zu retten und lebendig zu machen.

Der Herr der Welt arbeitet nicht mit einem gleichgültigen Grundmuster, so als ob es alles egal wäre, Glück und Unglück, Tod und Leben. Erst recht ist sein Grundschema nicht pessimistisch, nach dem Motto: und am Ende würge ich ihnen noch einmal eins rein, damit sie nicht übermütig werden. Nein, Gottes Schema hat eine positive Grundrichtung. Er tötet und macht lebendig. Er macht arm und macht wieder reich. Am Ende steht nicht der Tod, sondern die Auferstehung. Das Leben behält das letzte Wort. Jesus ist Sieger. Die Kinderlose bekommt den Sohn.

Aber wohlgemerkt: das ist keine allgemeine Regel darüber, wie es in der Welt zugeht. Das stimmt nicht außerhalb einer Vertrauensbeziehung zu Gott. Hanna hat ja nicht einfach abgewartet, wie es denn wohl ausgehen wird mit ihrer Kinderlosigkeit. Und Jesus hat erst recht nicht einfach abwartend am Kreuz gehangen. Beide haben sie intensiv mit Gott kommuniziert, haben Gott gefragt und gebeten und haben von ihm Antworten gehört, mindestens Teilantworten. Die waren nicht neutral, sondern sie haben Gott nicht in Ruhe gelassen. Und der Gott, der auf der Seite des Lebens steht, der stellte sich zu diesen Menschen, die ihn um Leben baten.

Aber es war ein Weg, dem es an dunklen Wegstrecken nicht mangelte. Beide, Hanna und erst recht Jesus, sie mussten durch Zeiten hindurch, wo sie sich fragten, was denn wohl am Ende stehen werde, und wie Gott wohl ihr Schicksal noch wenden könne. Bei Gott steht am Ende das Leben, aber vorher geht es oft an Tod und Teufel vorbei.

Martin Luther hat einmal bei Tisch erzählt, wie er aus dieser Geschichte von Hanna gelernt hat, dass Gott durch Töten lebendig macht. ï¿œWenn Gott darangeht, einen Menschen zu rechtfertigen, dann verurteilt er ihn zuvor, und den er bauen will, den reißt er ein. Den er heil machen will, den erschüttert er, den er lebendig machen will, den bringt er um.ï¿œ So geht es manchmal zu bei Gott: er lässt uns erst durch das Feuer gehen, damit wir nicht denken, es sei selbstverständlich, dass es gut ausgeht. Und vor allem: damit wir nicht am Alten hängen bleiben. Gott reißt erst unsere Bauten ein, damit er ganz neu bauen kann.

Aber auch hier: das ist keine allgemeine Regel, und schon gar nicht ist das ein ewiger Kreislauf, in dem man erst nach unten, dann nach oben und schließlich wieder von neuem nach unten gespült wird. Das wäre eine fatalistische Weltanschauung. Viele andere Religionen haben so eine Grundeinstellung, besonders die östlichen Religionen, aber nicht das Christentum.

Von Jesu Auferstehung her kann man nicht fatalistisch denken, man kann sich die Welt dann nicht wie einen ewigen Kreislauf vorstellen. Durch die Auferstehung Jesu ist eine ganz deutliche Tendenz zum Leben in die Welt hinein gekommen. Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, Tod und Leben, ist an dieser Stelle ganz eindeutig entschieden worden, und das ist unumkehrbar, es ist nicht mehr korrigierbar. Jesus muss nicht mehr sterben, er lebt jetzt in einem Leben, das den Tod nicht mehr fürchten muss

Dies alles ist keine allgemeine Regel, kein Automatismus, der auch ganz ohne uns abläuft, sondern ein Geschehen zwischen zwei Partnern. Das muss man durchleben und erleiden. Da muss es Menschen geben, die aufstehen und sagen: so kann es nicht weitergehen! Es ist doch noch ein Gott, an den ich mich wenden kann. Da muss einer wie Jesus sagen: wenn du es willst, Vater, dann werde ich den schweren Weg gehen. Da müssen Jünger sein, die Jesus lieben und daran verzweifeln, dass es ihn nicht mehr geben soll. Aber gerade ihnen erscheint der Auferstandene.

Jesus hat keine Thesen über die Auferstehung der Toten verbreitet, sondern er hat im Glauben an die Treue des Vaters im Himmel gelebt und ist so gestorben. Nur so stellte sich heraus, dass sein Vertrauen berechtigt war. Nur so konnte es ein für alle mal deutlich werden, dass Gott für ein gutes Ende sorgt. In der Auferstehung Jesu hat er die wichtigste Geschichte der Welt zu einem guten Ende gebracht, und dieses Ende kann nicht mehr umgestoßen werden. Das ist die Grundlage für alle guten Geschichten in unserer Welt, die ein gutes Ende nehmen.

In der Auferstehung Jesu kündigt sich an, dass die ganze Welt ein gutes Ende haben wird, dass sie nicht zum Teufel geht, sondern wie der verlorene Sohn ins Vaterhaus zurückfinden wird. Auch das wird nicht ohne Zeiten voll Dunkelheit geschehen, aber es wird immer wieder diese Augenblicke der Freude und des Gelingens geben, wie Hanna sie erlebte, und am Ende steht nicht nur die Auferstehung Jesu, sondern die Erneuerung der ganzen Welt. Auch da wird Jesus der Sieger sein.