Aufstehen!

Predigt am 29. November 2009 (1. Advent) zu Römer 13,8-12

Seid niemanden etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; dann wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn was da gesagt ist :“du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren“, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
Und das tut, weil ihr die Zeit kennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.

„Ihr kennt doch schließlich die Zeit! Ihr wisst doch, was die Stunde geschlagen hat, deshalb steht jetzt auf!“ Strenge Worte, die Paulus hier spricht, und manch einer von uns fühlt sich jetzt vielleicht an die Mutter erinnert, die einen in den Ferien immer so unsanft zum Mittagessen geweckt hat: Weißt du nicht wie spät es ist, steh jetzt endlich auf.

Ja, wie spät ist es eigentlich? Wissen wir, was die Stunde geschlagen hat? Klar, wir können auf die Uhr schauen. Wir wissen, heute, am 29. November ist der 1. Advent. Und die Zeit – ja in was für einer Zeit leben wir denn? Irgendwie sieht ja alles nicht so rosig aus. Die Zeiten sind schwierig.

Arbeitslosigkeit, Hartz IV , Bankencrash, Klimawandel und vieles mehr lässt es düster werden um uns rum. Da ist soviel Not in der Welt, so vieles, was uns Angst macht, soviel Trauriges und Dunkles, soviel Enttäuschung. Wer möchte da nicht lieber schlafen, um gerade diese Zeit nicht erkennen zu müssen!

Aber Paulus geht dagegen an: ihr kennt doch schließlich die Zeit, Ihr wisst doch was die Stunde geschlagen hat, deshalb steht jetzt auf! Dabei ist Schlafen doch so schön. Weiß Paulus nicht um den Erholungswert eines langen Schlafes? Natürlich weiß er das. Aber Pauls spricht hier auch von einem anderen Schlaf. Er meint den Schlaf, der so etwas von Verstecken und Wegducken hat. Wegducken vor den Schwierigkeiten und Anfechtungen des Lebens.

Wenn ich nicht aufstehe, muss ich mich all diesen Schwierigkeiten gar nicht erst stellen. Sollen doch die anderen machen, mir ist es egal. Lasst mich doch in Ruhe! Ich guck gar nicht hin. Ein anderer sagt: warum soll ich überhaupt aufstehen? Niemand wartet auf mich, mein Terminkalender hat keinen einzigen Eintrag, und Arbeit hab ich schon lange nicht mehr. Da kann ich auch liegen bleiben. Viele Menschen sind müde geworden, enttäuscht, resigniert und traurig. Irgendwie verschluckt von der Dunkelheit.

Paulus denkt auch an die Menschen, die ihre Ratlosigkeit, ihr Erschrecken betäuben mit blindem Aktivismus. Partys ohne Ende, hemmungsloses Vergnügen, Alkohol, Drogen und vieles mehr. All das hat seinen Ursprung in dem verzweifelten Bemühen, die Trostlosigkeit und Ausssichtslosigkeit, die Sorge und die Angst vor dem nächsten Tag zu übertönen. Bevor es alles noch viel schlimmer wird, will ich wenigstens noch einen drauf machen.

Liebe Gemeinde, auch das ist ein Einrichten in der Dunkelheit. Das ist die Kapitulation vor der Finsternis. Ja, es ist finster, und weil das so ist, richte ich mich in dieser Finsternis ein. Ein Arrangement, das garantiert nicht gut tut. Paulus weiß das, und er hält dagegen. Sein Gebot der Stunde lautet: Aufwachen, den Schlaf aus den Augen reiben, hinsehen und wahrnehmen, dass alles was geschieht – mit uns und um uns herum – dass dies alles uns angeht und uns herausfordert.

Paulus begründet seine Weckaktion mit merkwürdigen Worten: unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit als wir gläubig wurden. Er blickt zurück – in die Vergangenheit, hält sie neben die Gegenwart und stellt fest: es stimmt, die Zeit ist vorangeschritten. Sie hat sich nicht im Kreis bewegt. Es ist nicht immer wieder dasselbe gewesen. Nein, die Zeit ist weitergegangen, und wir sind weitergekommen und Gott ist weitergekommen mit seinem Plan für die Welt.

Das beschreibt Paulus mit dem Satz: die Nacht geht zu Ende. Zwar ist es noch dunkel, aber am Horizont dämmert es bereits. Der Tag ist nahe und mit ihm das helle Licht. Die Zeit schreitet voran. Wenn du heute meinst, es ist alles schrecklich dunkel, dann kann das morgen schon ganz anders aussehen. Richte dich bloß nicht in deiner Not und Verzweiflung ein. Das geht vorbei wie die Dunkelheit in der Nacht.

Gott kommt in die Welt. Er ist unser Licht und bei ihm ist unser Heil. Mit ihm wird alles anders. Die Welt wird hell durch seine Liebe. Sie vertreibt alle Dunkelheit und alles Leid. In Gottes Welt hat das alles keinen Platz mehr. Aber das gilt nicht erst nach unserem Tod. Hier und jetzt spüren wir etwas von dem Licht des nahenden Morgen. Gott kommt.

Er will schon jetzt mit uns leben und mit uns sein Licht in die Welt bringen. Er ruft uns auf, mit an seiner neuen Welt zu bauen. Jetzt, nicht erst wenn wir tot sind. Dann wäre ja unser Leben ein Umweg. Gott aber ist ein Gott des Lebens. Deshalb sagt Paulus auch: Reib dir den Schlaf aus den Augen und guck genau hin. Dann kannst du sehen und spüren, dass Gott die Welt immer mehr durchdringt mit seinem Licht. Dann bekommst du eine Ahnung davon, dass es längst nicht mehr so finster ist, wie du vielleicht denkst. Gott lässt uns nicht in der Finsternis stehen. Sei gewiss, so wie die Nacht vergeht und der Morgen kommt, so kommt Gott in die Welt. „Verschlaf das nicht! Verpass das Beste nicht!“ so ruft uns Paulus zu. „Richte dich bloß nicht in der Dunkelheit ein. Gott will dich dabeihaben, wenn sein Licht, seine Liebe die Welt überstrahlt.

Liebe Gemeinde, nur wach können wir die heiligen Augenblicke nutzen, die Gott für uns bereit hält. Aber heißt das, wir müsen nur wach sein und alles wird gut? Wenn Paulus vom Wachsein redet, dann meint er damit nicht einfach den Zustand des Nichtschlafens. Natürlich auch, aber viel wichtiger ist es, mit all unseren Sinnen, mit unserem Herzen aufmerksam zu sein. Kein Vor-sich-hin-Dümpeln, kein Wegducken, wenn Schwierigkeiten kommen und keine Haltung, die zeigt, mir ist sowieso alles egal.

Nein, wir sollen mit offenen Augen und Ohren durchs Leben gehen, ausgerichtet auf Gott. Das ist es wozu Paulus uns aufruft: leben im Licht. Paulus war klar, wer das Licht des neuen Tages bringen würde. Er hat damit gerechnet, dass Jesus wiederkommt, recht bald und greifbar. Aber der Blick war für Paulus nicht allein auf die Zukunft gerichtet. Er spricht von der Gegenwart; die Stunde ist da. Der Tag ist schon herbeigekommen.

Jesu Wiederkommen ist ein Ereignis, das bereits jetzt etwas mit unserer Zeit zu tun hat. Sein Kommen ist zu spüren. Jetzt schon! Gott hat so viele Möglichkeiten , mitten unter uns und in uns, in unseren Herzen, Hoffnungslichter anzuzünden. Und er nutzt all diese Möglichkeiten.

Ein kleines Beispiel möchte ich euch erzählen: Vor einiger Zeit hab ich mit meiner Tochter, sie ist 19, Musik gehört. Deutschrock – war mir als Musikrichtung gar nicht bekannt – Wahrscheinlich hab ich das falsche Alter dafür. Die Konfirmanden kennen sich da sicher viel besser aus. Aber mich haben diese Texte völlig mitgerissen. Ich weiß nicht, ob die Toten Hosen, Madsen oder die Gruppe Seeed Paulus kennen oder seinen Brief an die Römer gelesen haben, aber auf alle Fälle waren die Kernaussagen ihrer Lieder dem Aufruf von Paulus sehr, sehr ähnlich. Und ich vermute, dass Gott genau diese Lieder benutzt, um aufzuwecken. Die Aussagen dieser Lieder sind : steh auf, verschlaf dein Leben nicht. Es lohnt sich, es gibt immer wieder einen neuen Anfang. Bei der Gruppe Seeed heißt es:

Oh Baby lass uns gehen,
das Leben will einen ausgeben und das will ich sehen,
lass uns endlich aufstehn, das Radio andrehen,
dazu werden wir tanzen und dazu gut aussehen.

Liebe Gemeinde, so kann man das auch sagen: das Leben will einen ausgeben. Gott will einen ausgeben! Und ich glaube, Gott freut sich, wenn wir dafür das Radio aufdrehen, tanzen und die Freude in unser Herz lassen. Ob wir dabei gut aussehen würden? Auf alle Fälle würden wir strahlen. Weil wir uns auf die Seite des Lebens, des Lichts stellen würden. Und ich glaube tatsächlich: dann sehen wir glänzend aus.

Wir gehören nicht in die Dunkelheit. Gott hält für uns ein Leben im Licht des kommenden Tages bereit. Ich sag das jetzt mal etwas weniger theologisch: bei Gott haben wir ein Platz an der Sonne! Als Erinnerung daran zünden wir Kerzen an. Gerade jetzt in der Adventszeit und ganz besondern dann zu Weihnachten. Kerzen als Symbol für Gottes Licht, das auch an so trüben Novembertagen wie heute für uns scheint.

Wenn wir heute den 1. Advent feiern, dann erinnern wir uns: Advent heißt Ankunft. Gott kommt. Gott wird am Ende der Zeit kommen und sein Reich, seine Herrschaft über alle Welt aufrichten. Wie lange das noch dauern wird wissen wir nicht, aber Gott ist auf dem Weg. Das ist sicher. Davon spricht Paulus, wenn er vom Licht des beginnenden Morgen spricht.

Unsere 1. Adventskerze erinnert uns aber auch daran, dass Gott schon gekommen ist. Das feiern wir an Weihnachten. Jesus ist Mensch geworden. In einer Krippe hat er gelegen. Und von dieser Krippe scheint ein Licht in die Welt, wie das Licht des kommenden Tages. Und so sind wir umhüllt von Gottes Licht. Einerseits vom Licht Jesu und seiner Geburt und andererseits von Licht Gottes, der auf uns zugeht. In diesem Licht leben wir. Und was uns überall so dunkel erscheint, das kann im Licht Gottes, mit seiner Liebe, mit seinen unendlichen Möglichkeiten überwunden werden.

Im Licht Gottes bekommen wir, aber auch alles andere, auch die Dunkelheiten und Nöte ein anderes Vorzeichen. Nämlich Vorzeichen des Lebens, der Rettung, der Befreiung für uns, für alle Menschen, für die ganze Welt. Gottes Liebe will die Vorzeichen in unseren Klageliedern ändern, damit daraus fröhliche, hoffnungsvolle, zuversichtliche und mutige Lieder werden. Gottes unwiderrufliche Liebe zu uns, zu unseren Mitmenschen, zu unserer Welt annehmen und gelten lassen – das ist ein hoffnungsvolles Erwachen und Aufstehen vom Schlaf. Da wachsen uns auf einmal neue Kräfte zu, so dass wir, wie Paulus sagt, die Werke der Finsternis ablegen und die Waffen des Lichts in die Hand nehmen und gegen alles kämpfen, was die Welt verdunkelt.

Manchmal braucht das ganz viel Kraft, Fantasie, Tapferkeit, Überwindung und viel Geduld gegen die Angst und Resignation, gegen Betäubung und Flucht, gegen das Wegducken und Verschlafen anzugehen. Aber Gott gibt uns die Kraft dazu. Er erfüllt uns immer wieder mit seiner Liebe und er hält viele heilige Momente für uns bereit.

Liebe Gemeinde, wir leben zwischen dem 1. Advent, als Jesus zur Welt kam und dem Tag wenn Gott endgültig kommt, sozusagen dem 2. Advent. Unsere Zeit ist die Zeit zwischen den Adventen. Gott hat sie und gegeben und zur Zeit der Liebe bestimmt. Also lasst uns erkennen, dass die Stunde gekommen ist. Jetzt ist die Zeit aufzustehen, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben und hellwach auf Gottes kommenden Tag zuzugehen.

Dazu möchte ich euch ein weiteres Lied aus der Szene des Deutschrock vorlesen. Es ist von Madsen und es heißt: „Warum nicht jetzt?“

Der Tag beginnt, doch du stehst nicht auf.
Die Sonne scheint, doch du gehst nicht raus.
Du willst machen, doch du hältst dich zurück.
Du willst tanzen, und bewegst dich nicht.
Du willst reden, doch du bleibst stumm.
Du hast Ideen, doch du setzt sie nicht um.
Du weißt genau, dass du das ändern kannst.
Du weißt nur noch nicht, wie und wann.

Warum nicht jetzt?
Worauf noch warten.
Wenn es vorbei ist,
kannst du wieder schlafen.
Warum nicht jetzt?
Worüber noch reden,
bevor es vorbei ist,
fang an zu leben.

Liebe Gemeinde, jetzt ist die Zeit. Lasst uns die Zeit nutzen und uns erfüllen lassen von der Liebe Gottes, und in seinem Licht leben und dieses Licht weitergeben.