Gutes tun (Weisheit III)

Predigt am 6. Februar 2000 zu Sprüche 11,17 u.a.

Am Anfang die gute Nachricht: »Helfer sind glücklich und leben lange« stand im September letzten Jahres in der Zeitung. »95 % von 3500 befragten Freizeithelfern gaben an, sich nach Hilfseinsätzen ‚besonders wohl‘ zu fühlen und zogen sogar Vergleiche mit der Wirkung einer Droge. Helfer hätten außerdem eine um 40 % höhere Chance, lange zu leben, als Menschen, die sich nicht engagieren.«

Vielleicht kennen Sie das ja auch, daß man sich wohlfühlt, wenn man andern Freude gemacht hat oder jemandem aus der Klemme geholfen oder überhaupt etwas Gutes und Positives erreicht hat. Es geht nicht darum, daß wir damit andere beeindrucken – dazu hat Jesus das Nötige gesagt: wer andere mit guten Taten beeindrucken will, der hat ja schon seinen Lohn und Gott wird ihm keinen anderen mehr geben – auch nicht das gute Gefühl, das mein beim Helfen bekommt. Es geht auch nicht darum, daß wir glauben, wir würden uns damit eine Eintrittskarte in den Himmel sichern. Nein, es ist einfach so, daß wir uns normalerweise gut fühlen, wenn wir Gutes tun. Wir sind schließlich nach dem Bild Gottes geschaffen worden, und Gott ist von Natur aus gut. Es paßt einfach zu uns, Gutes zu tun. Wenn Menschen Vergnügen an Gemeinheiten empfinden, dann müssen sie schon ganz schön weit abgerutscht sein. Spontan jedenfalls fühlt es sich normalerweise hinterher gut an, wenn wir Gutes getan haben. Normalerweise – von den Ausnahmen muß ich nachher noch reden.

Gutes zu tun, entfaltet in uns heilende Kräfte. Kräfte, die dafür sorgen, daß wir uns zufrieden und glücklich fühlen und daß sich wohl auch unser Leben verlängert. Wir sind dann in Harmonie mit unserer ursprünglichen Bestimmung – aber wer immer gegen seine eigentliche Polung lebt, der wird unzufrieden werden und wird dann wohl auch seine Lebensenergie unnütz verpulvern.

Die Untersuchung, von der ich vorhin sprach, bestätigt ja nur die Weisheit der Sprichwörter. »Wenn du zu anderen gütig bist, tust du dir selber wohl; wenn du grausam bist, tust du dir selber weh.« heißt es da (11,17). Unsere Seelen erhalten Nahrung, wenn wir zu anderen gut sind. Und auf der anderen Seite: wenn wir zu anderen hart sind, dann nehmen wir auch uns selbst Lebenskraft weg. Noch ein paar solcher Sätze: »21 Wer seinen Mitmenschen mit Verachtung begegnet, macht sich schuldig; aber freuen darf sich, wer sich um die Hilflosen kümmert. 22 Wer Unheilspläne schmiedet, läuft ins Unheil; wer Gutes plant, erfährt Güte und Treue.« (14,21-22) Gutes tun tut gut – das haben die Weisen Israels immer wieder beobachtet.

Im Epheserbrief (2,10) steht das sogar so:

10 Wir sind ganz und gar Gottes Werk. Durch Jesus Christus hat er uns so geschaffen, daß wir nun Gutes tun können. Er hat sogar unsere guten Taten im voraus geschaffen, damit sie nun in unserem Leben Wirklichkeit werden.

Es ist also so ähnlich, als ob Gott uns nicht nur mit Fähigkeiten und Begabungen ausgestattet hat, sondern als ob er uns auch ein Sortiment guter Taten mit auf den Weg gegeben hat. Taten, die ganz persönlich für uns vorgesehen sind und die kein anderer so tun könnte. Wenn Sie zum Beispiel jemand sind, der ein Talent dafür hat, viel Geld zu verdienen, dann hat Gott für Sie vermutlich auch gute Taten vorgesehen, die mit Verschenken und Geben von Geld zu tun haben. Wenn Sie jemand sind, der andere mit Worten ermutigen kann, dann hat Gott für Sie wahrscheinlich auch Situationen vorbereitet, in denen Sie genau das tun können. Und immer, wenn wir dann jemandem begegnen, der niedergeschlagen ist, dann meldet sich eine gute Tat und ruft »Hier bin ich, ich möchte getan werden«. So, wie wir unsere Fähigkeiten und Begabungen entwickeln müssen, wenn sie zum Zuge kommen sollen, so müssen wir auch die guten Taten realisieren. In den Sprichwörtern heißt es (3,27): »Wenn ein Mitmensch Hilfe braucht und du ihm helfen kannst, dann weigere dich nicht, es zu tun.« Wir sind nach dem Bild eines Gottes geschaffen, der am Erlösen, Erneuern, Erfrischen, Wiederaufbauen und Neubeleben Freude hat. Seine Freude wird in uns wachsen, wenn wir Taten tun, die nach seinem Herzen sind. Wahrscheinlich hat die ganze Unzufriedenheit, die viele Menschen mit sich herumtragen, etwas zu tun mit den nicht realisierten guten Taten. Immer, wenn wir etwas Gutes nicht tun, was wir eigentlich tun könnten, breitet sich ein Stück mehr Traurigkeit und Dunkelheit in unserem Herzen aus: die Trauer einer guten Tat, die vergebens auf ihre Realisierung gewartet hat.

Trotzdem muß man diesen Vers sehr genau lesen, weil er uns sonst auf einen falschen Pfad führen könnte. »Wenn ein Mitmensch Hilfe braucht und wenn du ihm helfen kannst« heißt es da. Wir sollen also nicht immer und in jeden Fall versuchen, jemandem zu helfen. Es gibt dafür zwei Bedingungen:

  1. Wenn ein Mitmensch Hilfe braucht
    Nicht immer braucht ein Mensch wirklich Hilfe, wenn er darum bittet. Manchmal ist er auch nur bequem. Wenn jemand mit seinem Geld nicht ordentlich umgeht und dann kurz vor dem Ersten kommt und von mir Hilfe will, dann besteht die Hilfe nicht darin, daß ich ihm Geld gebe, sondern eher darin, daß ich ihm erkläre, wie man sich sein Geld einteilt. Vielleicht muß ich ihm auch mit deutlichen Worten sagen: du hättest einige Ausgaben vermeiden müssen. Und wenn er das nicht hören will, dann kann ich nichts weiter für ihn tun. Die Hilfe, die er braucht, habe ich ihm ja gegeben.
    Ein ganz anderer Bereich, für den dies Wort wichtig ist, ist der Umgang mit Kindern. Wenn man einem Dreijährigen die Schleife am Schuh zubindet, dann ist das eine Hilfe, die das Kind braucht; wenn man es aber bei einem gesunden Achtjährigen immer noch macht, dann tut man ihm nichts Gutes mehr, sondern erzieht das Kind zur Unselbständigkeit.
    Gerade Christen richten an diesem Punkt manchmal mehr Schaden als Nutzen an. Wir erinnern uns daran, daß Jesus zur Nächstenliebe aufgerufen hat, wir wissen vielleicht auch, daß es uns gut tut, zu helfen, ein ganz bißchen stolz sind wir auch, wenn jemand gerade uns um Hilfe bittet, und dann gehen wir Leuten auf den Leim, die sich darauf spezialisiert haben, die Gutheit von Christen auszunutzen. Irgendwie fühlen wir uns zwar schlecht, wenn wir nun schon wieder zwei Stunden am Telefon zugebracht haben, anstatt die Arbeit zu machen, die wir uns eigentlich für diesen Tag fest vorgenommen hatten. Irgendwie fühlen wir uns ausgenutzt, wenn uns jemand immer wieder stundenlang seine Probleme erzählt, ohne daß sich dadurch etwas bei ihm ändert. Aber wir schlucken dieses dumme Gefühl tapfer runter, weil man als Christ ja für die anderen da sein muß und die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen hat. Doch dann kriegen wir eines Tages mit, daß diese Person ihre schrecklichen Erlebnisse, die sie unbedingt sofort loswerden mußte, vorher schon drei anderen Leuten erzählt hat … Und wir fühlen uns zu Recht mißbraucht!
    Wir sollten immer prüfen, ob ein Mensch wirklich Hilfe braucht, oder ob er einfach nur daran gewöhnt ist, die Verantwortung für sein eigenes Leben an andere abzuschieben, obwohl er sie eigentlich gut selbst wahrnehmen könnte. Jeder Mensch hat einen Verantwortungsbereich, den wir ihm nicht abnehmen sollen, sonst richten wir mehr Schaden als Nutzen an. Im Gegenteil, wenn wir Menschen immer wieder vor den Folgen ihrer verantwortungslosen Taten beschützen, dann ersparen wir ihnen gerade die Erfahrungen, die ihnen wirklich helfen würden. Gott hat die Welt so eingerichtet, daß die Folgen unserer Taten normalerweise auf uns zurückfallen. Wenn wir diesen Mechanismus für eine andere Person außer Kraft setzen, dann unterlaufen wir eine heilsame Einrichtung Gottes und ersparen dem anderen Einsichten, die ihn vorangebracht hätten. Auch die Erinnerung an Jesus ändert daran nichts. Jesus hat uns zwar die Folgen unserer Sünde abgenommen und auf sich geladen, aber er hat dieses Geschenk an die Umkehr gebunden, an die Erkenntnis, daß wir ohne ihn auf falschen Wegen gegangen sind. Menschen brauchen oft nicht so sehr Hilfe, sondern die Erkenntnis, daß sie umkehren müssen.
  2. Die andere Bedingung für das Helfen lautet: »wenn du ihm helfen kannst«. Es gibt Nöte, da können wir schlicht nichts helfen. Unsere Kräfte und Fähigkeiten sind genauso begrenzt wie unsere Zeit. Es gibt freundliche und sensible Menschen, die laden sich alles Elend der Welt auf ihre Schulter, und sie verdammen sich dafür, daß sie es nicht abschaffen können. Damit verderben sie sich die Freude an dem, was sie tatsächlich erreichen. Sie sehen immer nur die lange Liste der Dinge, um die sie sich eigentlich auch noch kümmern müßten. Aber selbst wenn wir hier unsere Zelte abbrechen würden, um nach Afrika zu gehen und dort zu helfen, dann wäre immer noch die Frage, was denn mit Indien ist. Wie wir es drehen und wenden, wir sind begrenzt, sehr begrenzt sogar, und wir sollten das akzeptieren. Das ist kein Freibrief zur Faulheit, und ich halte es auch für kein gutes Zeichen, wenn Christen immer in großer Sorge vor Überlastung ihrer empfindlichen Psyche sind, aber wir sollten uns klar machen: Gott selbst setzt uns Grenzen. Ein Tag hat nun mal nur 24 Stunden, und einen Tag in der Woche hat Gott auch noch als Ruhetag eingesetzt. Er weiß, daß wir Erholungspausen brauchen, und er weiß, daß wir regelmäßig Gelegenheiten brauchen, in denen wir uns erfreuen und entspannen können, auch Zeiten, in denen wir Gemeinschaft mit Gott erleben und geistlich gestärkt werden. Auf einige Stunden am Fernseher zu verzichten, das ist sicher keine unbillige Überlegung, wenn wir jemandem helfen wollen. Aber wenn uns das die Zeit nimmt, die wir für Beten, für das Bedenken der Bibel oder die Gemeinschaft mit anderen Christen brauchen, oder auch eine Basis-Erholungszeit, dann stimmt irgendetwas nicht.
    Wenn wir also einem Menschen nicht helfen können, dann sollen wir uns ehrlich sagen: »hier sind meine Möglichkeiten zu Ende«, und wir sollen diese Person Gott ans Herz legen. Er hat unendlich mehr Möglichkeiten als wir, und wenn wir getan haben, was wir konnten (vielleicht konnten wir auch gar nichts tun), dann ist es genug, und wir sollen uns nicht grämen. Vielleicht sendet Gott einen anderen Menschen. Auf jeden Fall endet unsere Verantwortung da, wo unsere Möglichkeiten enden.

Diese beiden Einschränkungen zeigen, daß es nicht reicht, einfach mit gutem Willen zu helfen. Weisheit muß dazu kommen:

  • eine möglichst klare Einschätzung der, Person, der wir helfen wollen, und
  • eine klare Rechenschaft über unsere eigenen Möglichkeiten.

Und wir sollten uns daran erinnern, daß die größte und wichtigste gute Tat, die wir jemandem tun können, darin besteht, daß wir ihm Gott vorstellen. Rein praktisch muß man sagen, daß den meisten Menschen in dem Moment entscheidend geholfen ist, wo sie anfangen, aus ganzem Herzen zu glauben und sich fest in eine Gemeinde zu integrieren. Das macht Menschen meistens in nicht allzu langer Zeit so stark, daß sie ihre Probleme lösen und auch noch für andere eine Hilfe sein können. Deshalb ist es – auch rein praktisch betrachtet – die wichtigste Hilfe, die wir Menschen geben können, daß wir sie in ein enges Verhältnis zu Jesus hineinholen.

Und in der Tat: wenn uns das gelingt, dann wird das auch unsere Freude enorm vertiefen und unser Vertrauen in Gott stärken. Mit dabei zu sein, wenn Leben verändert wird und Schicksale durch Jesus eine tiefgreifende Korrektur zum Besseren hin erfahren, das gehört zu den befriedigendsten Erlebnissen, die wir haben können, und das läßt auch unsere eigenen Seele aufatmen.