Wahrhaftigkeit und Lüge

Predigt am 4. November 2018 zu Matthäus 5,33-37

Ihr wisst auch, dass zu den Vorfahren gesagt worden ist: “einen Eid darfst du nicht brechen; du sollst alles halten, was du dem Herrn geschworen hast.“
Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße, noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs. Nicht einmal mit deinem eigenen Kopf sollst du dich verbürgen, wenn du schwörst; denn du bist nicht in der Lage, auch nur ein einziges deiner Haare weiß oder schwarz werden zu lassen.
Euer Ja sei ein Ja und euer Nein ein Nein; jedes weitere Wort ist vom Bösen.

Klare Worte, die Jesus hier spricht: schwört nicht! Euer Ja sei ein Ja und euer Nein ein Nein! Damit sagt er: Bleibt in der Wahrheit! Jesus weiß genau, wie wichtig es ist, ehrlich zu sein. Wie wichtig es ist, dass wir in Wahrheit miteinander reden, damit wir uns auf das, was gesagt wird, verlassen können.

Mit Worten verändern wir die Welt. Jeder, der schon mal ein „Ich liebe dich“, oder ein „Ich bin für dich da“ gehört hat, der weiß um die Macht der Worte. Deshalb, weil Worte so große Macht haben, ist es eben nicht egal, wie wir mit ihnen umgehen. Weil unser „Ja“ Konsequenzen hat, weil Menschen sich und ihr Leben danach richten, Wege einschlagen oder verlassen – deshalb soll unser Ja ein Ja sein. Weil wir Menschen in ihrem Innersten treffen, weil es einen Unterschied macht, ob wir ein Wort sagen oder ob wir es verschweigen, soll auch unser Nein ein Nein sein.

Wäre das nicht eine wunderbare Welt, in der wir einfach glauben könnten, dass alle die Wahrheit sagen? Auch die Politik, die Werbung, die Medien? Aber leider ist das nicht so.

Liebe Gemeinde, Gott ist Liebe und er ist Wahrheit. Und so hat er auch die Welt geschaffen, so funktioniert sie. Und so sind auch wir Menschen angelegt, um in Liebe und Wahrheit zu leben. Tun wir das nicht, so entstehen Chaos und Zerstörung, Es beginnt in uns und kann dann weite Kreise ziehen. Jesus weiß das, und er will uns davor bewahren. Deshalb sollen wir nach Möglichkeit auch nicht schwören. Sicher, vor Gericht, wenn wir vereidigt werden, tun wir das. Und jedem ist klar, dass man dann die Wahrheit sagt und nicht als die Wahrheit.

Aber zu Jesu Zeiten nahm das mit dem Schwören Überhand, es wurde zu einer ganz alltäglichen Sache. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit wurde geschworen. Da ist gut vorstellbar, dass nicht jeder einen vielleicht vorschnell gegebenen Schwur einhalten konnte. Und das beschädigt die Menschen. Das nagt am Gewissen, man kann nicht mehr gut schlafen und morgens mag man nicht mehr in den Spiegel sehen. Und schlimmer noch, Gewissen und Seele nehmen Schaden. Und nach und nach fängt es an normal zu werden, die Unwahrheit zu sagen.

Und wenn wir jetzt meinen, bei uns ist das ja ganz anders, dann lasst uns daran denken, dass nur die Worte andere sind als damals. Um heute dem Gesagten Nachdruck zu verleihen, wird es bekräftigt mit Zusätzen wie: ganz ehrlich, 100%ig, auf alle Fälle, usw. und usw. Gemeint ist damit: Wenn ich es auch sonst nicht so genau nehme mit der Wahrheit, aber jetzt musst du mir ausnahmsweise mal glauben. Alles was ich gesagt habe ist die reine Wahrheit. Jesus tritt diesem übertriebenen Umgang mit dem Schwören und Beteuern entgegen und fordert die Menschen auf, das Schwören ganz zu lassen und schlicht und ergreifend die Wahrheit zu sagen.

Die Wahrheit zu sagen, das scheint ja aber nicht ganz einfach zu sein. In Zeiten von alternativen Wahrheiten wird das immer deutlicher. Soviel Lüge und Betrug sind schon in der Welt und zerstören und beschädigen unser Miteinander. Manche Menschen richten soviel Mist an und wir müssen uns eingestehen, dass vieles kaputt ist in der Welt. Aber gleichzeitig ist es immer noch Gottes gute Schöpfung, mit einem Fundament aus Liebe und Wahrheit. Sie ist immer noch randvoll gefüllt mit Reichtum, Wundern und Verheißungen. Und Gott hält fest an ihr und seinen Menschen. Zu jedem von uns hat er ja gesagt.

Das ist es, was uns trägt. Gottes Liebe macht uns mutig, für die Wahrheit einzutreten und dabei mitzuhelfen, dass die Welt wieder ein besserer Ort wird. Gott verhilft uns zu einem klaren Blick. Und wenn Jesus zu uns sagt: euer Ja sei ein Ja und euer Nein ein Nein, dann traut er uns zu, dass wir, wenn wir uns auf ihn ausrichten, mit Gott in unseren Herzen, eine Kompetenz für Gut und Böse, für richtig und falsch, für Treue und Verlässlichkeit entwickeln.

Ihr Lieben, wir sind angetreten, diesen Weg mit Jesus zu gehen. Wir strecken uns aus nach echtem und gutem Miteinander, nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Das ist nicht immer ein leichter Weg. Wir müssen unsere Komfortzone verlassen und uns trauen, Klartext zu reden. Auch wenn wir Gegenwind erfahren, auch wenn wir das Gefühl haben, gegen den Rest der Welt anzutreten, auch, wenn uns der Mut zu verlassen droht. Jesus ist uns diesen Weg vorangegangen und mit ihm viele andere. Denken wir z.B. an Dietrich Bonhoeffer, an Martin Luther King. Sie haben ihre Stimme erhoben gegen Unrecht und Missstände und sind zum Sand im Getriebe geworden.

Ich bewundere das und merke gleichzeitig, wo meine Defizite sind. Wir Menschen sehnen uns nach Liebe und Anerkennung der anderen. Aber das darf kein Grund sein, jemandem nach dem Munde reden. Es macht uns unfrei, wenn wir unser Verhalten zu sehr daran orientieren, ob etwas ankommt oder nicht. Im schlimmsten Fall macht es uns sogar unglaubwürdig. Deshalb will Gott uns beibringen, dass man das Nein und den Widerstand von Menschen manchmal aushalten muss. Es ist nicht immer unbedingt ein Kompliment, wenn uns alle lieben.

In diesem Lernprozess hilft uns Gott durch seine Liebe. Er stärkt uns den Rücken, wenn wir wieder mal in der Versuchung sind, etwas zu sagen oder zu tun, von dem wir wissen, dass es nicht richtig ist. Jesus sagt: sei ehrlich. Das ist Gottes Weg. Das ist der Weg, auf dem Verheißung liegt. Habt keine Angst. Ja, mit Ehrlichkeit, auch wenn es eine freundliche Ehrlichkeit ist, die nicht dauernd auf den Tisch haut und fanatisch rumbrüllt, machen wir uns nicht nur Freunde. Aber: wir dürfen sicher sein, Gott springt vor Freude im Achteck, wenn Menschen ihre Angst überwinden und nicht auf Bequemlichkeit und Dauerharmonie setzen, sondern auf die Wahrheit.

Dieser Weg lässt uns erkennen, dass wir Gott ganz nötig brauchen. Wir erkennen, dass wir nicht autonom, nicht unabhängig von anderen sind. Wir sind auf gewisse Art schutzlos, wir erkennen unsere Begrenzungen und unseren Mangel. Nur mit Gott an unserer Seite können wir zu Überwindern werden und für die Wahrheit eintreten.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man, wenn man selber ehrlich ist, diese Ehrlichkeit auch bei anderen voraussetzt. Einfach weil Ehrlichkeit einem so normal vorkommt. Ich klopfe das Gesagte nicht dauernd auf seinen Wahrheitsgehalt ab. Klar, auf Fakenews eines amerikanischen Präsidenten fällt man nicht herein, und den kleinen Jungen, der mit hochrotem Kopf vor seiner Mama steht, und wortreich beteuert, dass er natürlich seine Zähne geputzt hat, der ist schnell entlarvt, und im Grunde findet man das noch ganz süß.
Aber zwischen diesem beiden Beispielen gibt es noch so unendlich viel mehr an Unwahrheit, Schwindelei und lügen.

Ich möchte euch ein Beispiel erzählen: Vor einiger Zeit machte ich mit Freunden eine Kutschfahrt durch die Heide. Der Kutscher, der uns durch die Landschaft führte wusste viel zu erzählen und ich fand das alles sehr spannend und hörte interessiert zu. Nach einer Weile sagte er zu mir, so mit ganz ernster Stimme: Sie müssen ein sehr gläubiger Mensch sein. Huch, dachte ich, strahle ich mein Christsein so aus. Wäre ja toll. Und ich fragte ihn: warum? Die Antwort war: weil Sie alles glauben.

Na toll, da standen wir ja beide blöd da. Ich, weil ich alles für wahr gehalten hatte, und er, weil er gelogen hatte. Ich antwortete ihm dann: Ja, ich glaube alles, was Sie mir vorlügen. An seinem betretenen Schweigen hoffte ich dann zu erkennen, dass er es schlimmer findet, jemanden anzulügen als jemandem zu glauben.

Ihr Lieben, an diesem Beispiel macht sich die Misere deutlich, in der wir stecken: Wir selber geben uns alle Mühe, immer ehrlich zu sein, und trotzdem dürfen und können wir nicht davon ausgehen, dass andere es auch sind. Das ist doch Mist! Ich will glauben, was andere mir erzählen. Ich will ihnen nicht unterstellen, dass sie lügen. Aber natürlich wissen wir alle, dass das immer wieder mal passiert, dass man belogen wird. Denken wir an den Handwerker, der sagt: übermorgen komme ich garantiert, aber dann sagt er noch nicht mal ab. Das müssen wir ganz realistisch sehen, aber es darf uns nicht dazu verleiten, den Weg der Wahrheit zu verlassen. Wir jedenfalls wollen die Wahrheit nicht mehr oder weniger zurechtbiegen. Wir dürfen uns nicht niederringen lassen von der Lüge und all dem Mist, der daraus entstanden ist.

Gott weiß wie wir uns fühlen. Ja, durch Lüge und Betrug sind auch wir beschädigt. Es fällt uns schwer zu vertrauen, wir sind skeptisch und machen dicht. Manch einer resigniert. Aber wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben – wir sind auf dem einzig richtigen Weg. Gott hat die Welt ganz wunderbar gemacht und wenn wir genau gucken, sehen wir all die Schönheit, Gottes Wunder und Verheißungen. Und tatsächlich begegnen wir doch zum Glück immer wieder Menschen, auf deren Wort man sich verlassen kann: Der neue Telefonanschluss funktioniert tatsächlich wie angekündigt, Das defekte Gerät wird tatsächlich prompt gegen ein funktionierendes ausgetauscht. Und der Mensch, mit dem wir sprechen wollten, ruft tatsächlich zurück – so wie er es uns auf dem Anrufbeantworter versprochen hat.

Wenn ich sowas erlebe, merke ich mir das – weil es nicht so oft vorkommt. Deswegen fallen Menschen auf, die zu ihrem Wort stehen. Rechnen wir doch damit, dass es auffällt, wenn wir in der Wahrheit verankert sind. Jesus traut uns das zu. Er schärft unseren Blick für die Welt. Er lässt uns alles Schöne sehen, aber auch alles Chaos und alle Zerrissenheit. Diese Diskrepanz müssen wir aushalten. Es hilft nicht, zu sagen: das ist doch alles nicht so schlimm. Es hilft nicht, zu sagen: es ist alles so schrecklich, es gibt keine Hoffnung mehr. Wenn wir das tun, haben wir uns von Gott und seiner Treue zur Welt getrennt. Dann haben wir uns von der Wahrheit über die Welt getrennt.

Es ist wichtig, dass wir beide Seiten der Realität im Blick behalten, die schlimme und die hoffnungsvolle; dass man auf Gottes Möglichkeiten vertraut, ohne sich Illusionen zu machen über sich und andere. Ja, es ist nicht immer einfach. Aber Hoffnung wächst tatsächlich da, wo wir diese Zerrissenheit sehen und annehmen. Wo wir Gott hineinrufen in das ganze Dunkle der Welt, und auf seine Verheißungen vertrauen, und uns nach seinem Reichtum ausstrecken.

Jesus ist diesen Weg mit aller Konsequenz bis hin zum Kreuz gegangen. Wir müssen zum Glück diesen Weg nicht immer so weit gehen, aber wir sollten schon auf demselben Weg wie er unterwegs sein. Stellen wir uns also mutig der Wahrheit und lassen uns von Jesus an die Hand nehmen.

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