Ein bunter Gott für 2015

Predigt am 31. Dezember 2014 (Silvester) zur Jahreslosung 2015, Römer 15,7

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.

Das ist die Jahreslosung für das kommende Jahr 2015. Sie stammt aus dem Römerbrief, ziemlich weit hinten, da, wo Paulus die Konsequenzen aus seinen langen Argumentationsketten zieht. Da merkt man, was er die ganze Zeit mindestens im Hintergrund immer mitgedacht hat.

Bild: geralt via pixabay, creative commons

Paulus denkt an die Christen in Rom, wo sich die Widersprüche des ganzen Reiches konzentrierten – so wie heute etwa in Berlin Konflikte, Widersprüche und Chancen des ganzen Landes besonders deutlich sichtbar werden. Es war vor allem das Zusammentreffen ganz unterschiedlicher Kulturen dort bei den Christen, das sein Nachdenken beflügelte, speziell das Zusammenleben von Christen mit jüdischen Wurzeln und von Christen, die aus anderen Völkern stammten. Wir können das aber als Beispiel dafür nehmen, in welchem Geist Christen überhaupt mit den Widersprüchen in der Gesellschaft umgehen sollten.

Denn wenn überhaupt irgendwer mit den Unterschieden zwischen Menschen vernünftig umgehen kann, dann sind es die Nachfolger Jesu.

Es war damals ein großes Problem, dass Menschen in großer Zahl entwurzelt wurden, als Soldaten, Sklaven, Händler, Siedler oder Flüchtlinge wurden sie durch die Welt gewirbelt und mussten dann in den großen Städten irgendwie miteinander auskommen. Das produzierte Konflikte, und manchmal endeten die mit Mord und Totschlag.
Die einzige Gruppe, wo Menschen von allen Stufen der sozialen Leiter und aus allen Kulturen miteinander auskamen, waren die christlichen Gemeinden. Aber und auch da war es nicht leicht. Das hat immer wieder auch ganz schön gekracht, es gab Konflikte und Missverständnisse.

Die Grundlage für versöhnte Vielfalt

Aber die Christen hatten eine Grundlage, an die Paulus hier erinnert: Christus, so sagt er, hat euch angenommen. Das bedeutet: Jesus hat sie in seine Gemeinschaft aufgenommen. Jesus hat für Menschen aller Kulturen die Tür in die Gemeinschaft Gottes geöffnet. Gott hat ja über lange Zeit sein Volk zunächst getrennt von den anderen Völkern gehalten, damit ein Raum frei blieb, in dem sich seine Alternative entfalten kann. Über lange Zeit, viele Jahrhuderte, brauchte es diesen Schutzraum. Aber das war nur für eine Übergangszeit so geplant. Jetzt, wo Jesus gekommen ist, Gottes endgültige Antwort für die verfahrene Weltlage, jetzt breitet sich das Evangelium in alle Welt aus. Jetzt lädt Gott alle ein, jetzt kann man dazukommen, egal welche Sprache man spricht.

Aus Gottes Sicht ist die bunte Vielfalt der Menschen und Kulturen kein Problem, sondern ein Reichtum. Gott liebt die Vielfalt, das sieht man an seiner unglaublich vielfältigen Schöpfung. Und das soll man bei den Christen sehen. Da soll man erleben können, wie toll es ist, wenn ein buntes Mosaik von Menschen einträchtig zusammen lebt. Und jeder, der das erlebt, soll Gott loben für seine Kreativität und seine Freude an der Vielfalt, durch die so viele unterschiedliche Kulturen und Personen entstanden sind.

Das Blöde ist, dass alle Unterschiede zwischen Menschen immer auch zur Quelle von Abgrenzung, Angst und Feindschaft werden können. Deswegen denken wir manchmal, es wäre einfacher, wenn jeder in seinem Land bleibt und die Kulturen sich möglichst wenig mischen. Aus Gottes Sicht macht das das Leben aber trister und ärmer; uns entgeht dann der ganze Reichtum, den Gott in die Menschheit hineingelegt hat.

Die positive Dynamik von Unterschieden

Gott arbeitet fast immer so, dass er Gegensätze miteinander in Berührung bringt, und aus dieser Dynamik kommt die Energie für Neues und bisher Unbekanntes. Er schuf Menschen als Männer und Frauen, und auch darüber kann man wahlweise stöhnen oder sich an den Unterschieden freuen. Er unterschied die Juden von den anderen Völkern und machte sie zu seinem Volk, und dieser Gegensatz hat die Weltgeschichte bewegt. Und zu Paulus‘ Zeiten gab es die zivilisierten Griechen und die wilden Barbaren (wozu die Griechen den ganzen Rest der Welt rechneten). All diese Gegensätze sind nicht schlimm, sondern da erkennt man Gottes Handschrift wieder.

Als ich zur Schule ging, hat uns unser Griechischlehrer erklärt, dass die griechische Kultur stark durch die Auseinandersetzung mit den Völkern im östlichen Mittelmeerraum und im Gebiet der heutigen Türkei beeinflusst worden ist. Und er sagte dann immer: eine sozusagen »reine« Kultur ist langweilig, spannend wird es an den Rändern, wo sich verschiedene Völker und Kulturen begegnen.

Schlimm wird es nur, wenn es durch diese Unterschiede zu Feindschaft oder Ausbeutung kommt, und wenn an den Grenzen Misstrauen und Arroganz wachsen. Und das passiert in dieser gottvergessenden Welt leider recht häufig. Aber da wo Menschen durch Jesus Christus in die Gemeinschaft Gottes aufgenommen werden, da entfaltet sich die Dynamik, die Gott ursprünglich mit dieser bunten Vielfalt im Sinn gehabt hat. Da gibt es einen Raum, in dem man lernen kann, andere anzunehmen und von ihnen bereichert zu werden.
Und das können dann alle sehen, und wenn sie nicht gleich dazu kommen, dann können sie wenigstens an diesem Muster sehen, wie ganz unterschiedliche Menschen in Freundschaft miteinander leben können. Es geht nicht um Toleranz, sondern es geht um die Entdeckung von Gottes Reichtum.

Einander annehmen

Paulus sagt, dass man dazu einander »annehmen« soll. Das Wort bedeutet, dass man jemanden in seine Gemeinschaft aufnimmt. Jesus hat uns in seine Gemeinschaft aufgenommen, und so sollen wir es dann auch untereinander mit all denen tun, auf die wir dort stoßen. Man muss beachten, dass das Wort wenig emotional aufgeladen ist, es ist eher sachlich gemeint: Man muss von Menschen nicht begeistert sein, aber ihren Platz in der Gemeinschaft sollen sie wirklich haben.

Ja, es gibt einige Sonderfälle, wo Menschen so gemeinschaftszerstörend handeln, dass keine andere Möglichkeit bleibt, als sich von ihnen zu trennen. Das kannte auch Paulus, und da war er durchaus klar. Aber hier geht es nicht um diesen Spezialfall, sondern um die normale Erfahrung des Anderen, des bisher Fremden. Es geht um Menschen, die für uns manchmal ungewohnt und deshalb schwierig sind. Und dazu sagt Paulus: macht es wie Gott und nehmt sie auch von eurer Seite aus in eure Gemeinschaft auf. Sagt auch von euch aus »Ja« dazu, dass die dazugehören. Haltet fest an dieser gemeinsamen Basis, auf der ihr euch besser kennenlernen und die Fremdheit überwinden könnt.
So schafft ihr die Voraussetzung dafür, dass die Gemeinde ein Gesamtkunstwerk wird, an dem alle etwas über Gottes Kreativität ablesen können. So schafft ihr aber auch die Voraussetzung dafür, dass ihr selbst bereichert werdet, und dass eure Liebe wächst.

Funktionieren geht über Diskutieren

Unsere Gesellschaft braucht das, dass sie an möglichst vielen Stellen ein gelungenes Miteinander von ganz unterschiedlichen Menschen beobachten kann. Die Leute müssen sehen können, dass das geht. Nicht nur in der Theorie, nicht nur als Forderung, sondern ganz praktisch als funktionierendes Beispiel.

Insofern ist das eine gute Jahreslosung für 2015. Die werden ja schon Jahre früher ausgesucht. Da scheint diesmal wirklich der Heilige Geist seine Hand im Spiel gehabt zu haben.

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